Institutional Money, Ausgabe 3 | 2020

die Ratings mit der Unternehmensgröße: Je größer die Marktkapitalisierung, desto höher das ESG-Rating. Insbesondere diffe- rieren die ESG-Ratings im Micro-, Small- und Mid-Cap-Segment im Verhältnis zu den Mega und Large Caps. Vor allem einer der drei Provider hat seine liebe Not mit klein- und mittelkapitalisierten Werten, die bei ihm im Verhältnis zu den beiden Konkur- renten besonders schlecht abschneiden (siehe Grafik „Durchschnittsrating je Marktkapitalisierungs-Bucket“). Far from perfect ESG-Ratings lösen aber trotz aller Vor- behalte viel Positives aus, denn ein besseres Rating hängt mit einem höheren Maß von Transparenz zusammen. Auch können Fir- men im Vorfeld des Ratingprozesses ihr Rating durch geeignete Maßnahmen und Of- fenlegungen positiv beeinflussen. Insbeson- dere unternehmensintern kann dadurch so mancher Verbesserungsprozess angestoßen beziehungsweise forciert und mehr Bewusst- sein für ESG-Themen geschaffen werden. Unternehmen sind durchaus daran interes- siert, eine erfolgreiche Kooperation mit ESG-Ratingagenturen durchzuführen, und unterstützen deren Bemühungen, Transpa- Der Fall Boohoo Aufdeckung von Unzulänglichkeiten der ESG-Ratings am Beispiel des britischen Online-Fast-Retailers. F ast Retailer sind Modeketten, die un- glaublich rasch neue Kollektionen aus dem Boden stampfen können, um ihren meist jungen und nicht sehr zah- lungskräftigen Kunden (Teens und Twens), die einem großen Druck in puncto modi- sche Bekleidung ausgesetzt sind, topmodi- sche Produkte anbieten können. Der Preis ist hier ein wichtiges Kaufkriterium, doch die Nachhaltigkeitsproblematik darf dabei nicht vergessen werden. Schließlich ist die- se Klientel sensibel vor allem in Bezug auf Verstöße gegen ökologische und soziale Spielregeln und können einem Unternehmen, das grober Verstöße bezichtigt wird, durch „Cancelling“ jeder- zeit die Sympathie entziehen, was aufgrund der Teilnahme an sozialen Netzwerken zu einer Protestlawine mit garantiertem Shitstorm werden kann. Aktie im Sturzflug Einen solchen Gau erlebte An- fang Juli 2020 Boohoo, nachdem in einer Zeitung über illegal nied- rige Löhne bei einem Subunterneh- men des Modeanbieters in Leices- ter berichtet wurde. Mit einem Stundenlohn von 3,50 Pfund wur- de der gesetzlich festgelegte Min- destlohn jedenfalls deutlich unter- schritten. Dieser – National Mini- mum Wage (NMW) genannt – liegt gemäß Statista am 1. April 2020 für 18- bis 20-Jährige bei 6,45 Pfund, für 21- bis 24-Jährige bei 8,20 Pfund sowie für jene, die älter als 25 sind, bei 8,72 Pfund. In der Folge sank der Kurs der Boohoo- Aktie von 387,5 Pence am 3. Juli bis auf 210 Pence am 15. Juli 2020. In der Spitze bedeutete das einen Rückgang der Markt- kapitalisierung von 4,88 auf 2,64 Milliar- den Pfund oder sage und schreibe 45,8 Prozent. Joachim Klement, Investmentstra- tege bei Liberum Capital in London, schrieb in einem Blog-Beitrag, dass dieser unerfreuliche Zwischenfall für ESG-Inves- toren eine wichtige Lektion war. Denn die Beschuldigungen bezüglich moderner Sklaverei haben – zumindest kurzfristig – nicht nur Milliarden an Börsenkapitalisie- rung vernichtet, sondern auch Schockwel- len durch die entlang von ESG-Richtlinien investierenden Anleger gesendet. So gab es beispielsweise einige ESG-Fonds, die in Boohoo investiert waren – und ein Fonds, der für sich in Anspruch nahm, besondere Aufmerksamkeit auf die Arbeitsbedingun- gen der Firmen zu legen, hatte Boohoo sogar als größte Fondsposition gehalten, weiß Klement. Chronologie des Grauens Nun, was das ESG-Rating von Boohoo anbelangt, war dies eine vernünftige Entschei- dung. Denn im Vergleich zu seinen direkten Konkurrenten Asos und Zalando lag das durchschnittliche ESG-Rating von Boohoo nicht deutlich schlechter und erschien so manchem Investment Manager als gar nicht so schlechtes Investment. Gemessen an einem Universum von mehr als 19.000 Aktien welt- weit, lag Boohoo besser als 71 Prozent aller Aktien und damit dicht hinter seinen Peers Asos (73 Prozent) beziehungsweise Zalando (79 Prozent). Das visualisiert die Grafik „Drei Onlinemodehäuser im Vergleich“ . Und alle drei Aktien la- gen übrigens im obersten Drittel der Vergleichsgruppe bezogen auf ihre ESG-Ratings. Wer also nur auf die Ratings der ESG-Daten achtete, die die Unter- nehmen öffentlich machten, konn- » Boohoo könnte ein Weckruf dafür sein, sich das Offenlegungs- ausmaß genauer anzusehen. « Joachim Klement, Investmentstratege bei Liberum Capital in London Drei Onlinemodehäuser im Vergleich Der durchschnittliche ESG-Score zeigt wenig Unterschiede. Obwohl Boohoo im durchschnittlichen ESG-Rating etwas schwächer abschneidet als die Konkurrenten Asos und Zalando, bedeutet die Kennzahl noch immer, dass 71 Prozent des Aktienuniversums im ESG-Ranking schlech- ter geratet sind als Boohoo. Quelle: CSRHub 0 20 40 60 80 100 Zalando ASOS Boohoo ESG-Score-Skala (0-100 Punkte)) 71 ESG-Score Punkte 73 ESG-Score Punkte 79 ESG-Score Punkte Fortsetzung nächste Seite  222 N o. 3/2020 | www.institutional-money.com P R O D U K T E & S T R A T E G I E N : E SG

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