Institutional Money, Ausgabe 3 | 2020

tion auf, bei Metallen und Minen ist sie moderat und in der Rüstungsindustrie ge- ring. Positiv beeinflusste Branchen gibt es auch: Web-Dienstleister, Online-Retailer und Goldminen. Fasst man die Kategorien nun in zwei zusammen, nämlich „hohe Exposition“ und „geringe/moderate Exposition“, treten eini- ge interessante Charakteristika zutage: So fahren ausgerechnet die stark betroffenen Unternehmen ein kürzeres Abwehrpro- gramm als die weniger exponierten Firmen. Sie hebeln ihre Assets stärker und verfügen über ein höheres Tobin’s Q, also die Kenn- zahl, die das Markt-zu-Buchwert-Verhältnis abbildet. Von den 45 Poison Pills wurden 17 von Unternehmen genommen, die eine hohe Covid-19-Exposition aufweisen. Rechnet man die gesamte Exposition aller US-Bran- chen durch, so bestand also bislang eine 4,5-prozentige Chance, dass ein Unterneh- men mit hoher Exposition zu einer Poison Pill griff, bei niedriger oder moderater Exposition lag die Wahrscheinlichkeit bei gerade einmal 0,7 Prozent. Nachdem man nun weiß, welche Firmen Covid-19 auf welche Weise ausgesetzt sind, und auch bekannt ist, welche Unternehmen darauf mit einer Poison Pill reagiert haben, kann man untersuchen, wie sich diese Ab- wehrmaßnahme auf die Kursentwicklung ausgewirkt hat. Die Ergebnisse sind verblüf- fend und lassen einige interessante Rückschlüsse zu ( siehe Tabelle „Starkes Gift, starke Medizin“ und Chart „Wirksame Pille“ ). Pille als Medizin Tatsächlich scheint es so, als hätte die Annahme eines Poison- Pill-Programms bei Unternehmen mit einer hohen Exposition zu kurzfristig äußerst positiven Er- gebnissen geführt. Bei diesen Unternehmen sind die CAR (Cu- mulative Abnormal Returns) für alle beobachteten Zeiträume posi- tiv und reichen von fünf Prozent am Tag der Einführung auf bis zu knapp 13 Prozent in einem Zehn- tageszeitraum. Dass der Markt hier wenig bis gar nicht hineinspielt, zeigt ein Blick auf die kumulierten abnor- malen Renditen von Unternehmen mit geringer bis moderater Exposition: Die- se liegen zu jedem Beobachtungszeitraum bei geringerer statistischer Relevanz im ne- gativen Bereich. Wie sind diese Ergebnisse nun einzuord- nen? Laut Wittry lassen sie den Schluss zu, dass „der Markt krisenbedingte Poison Pills von hoch exponierten Unternehmen positiv einschätzt und entsprechend belohnt, weil damit signalisiert wird, dass das Manage- ment entschlossen räuberische und poten- ziell schädliche Übernahmeversuche verhin- dert, die erst durch den Sonderfall einer Pandemie möglich geworden sind“. Dass das generelle Marktvertrauen in diese Un- ternehmen höher ist als bei den Poison-Pill- Unternehmen mit niedriger oder moderater Exposition, lässt sich auch aus dem höheren Tobin’s Q schließen. Bei den moderat bis kaum exponierten Unternehmen liegt hingegen der Verdacht nahe, dass die Krise dazu genützt wird, ein möglicherweise schlecht funktionierendes Geschäftsmodell – beziehungsweise das Management – durch defensive Maßnahmen zu schützen, wobei Covid-19 als Vorwand herhalten muss. Auffällig ist in diesem Zu- sammenhang, dass 62 Prozent der Unterneh- men, die eine Krisenpille geschluckt haben, keine hohe Covid-19-Exposition aufweisen. Auch das nährt in diesem Fall den Verdacht einer Scheinnotwendigkeit. Möglicher Placebo-Effekt? „Wir können jedoch nicht ausschließen, dass es sich bei den Kursbewegungen schlicht um eine Mean Reversion handelt“ – die Preise also schlicht und automatisch zu ihrem legitimen Mittelwert zurückkehren und sich der Rebound bei Unternehmen, die von der Krise stärker getroffen wurden, eben auch stärker auswirkt, wie die Autoren ein- räumen. Derartige Unsicherheit wollen die beiden Forscher in Zukunft im Rahmen weiterer Arbeiten aus- räumen – die bislang erzielten Er- gebnisse sind jedoch trotzdem erhellend, weil sie nahelegen, dass eine Poison Pill eben nicht immer dem Interesse der Aktionäre zuwi- derlaufen muss. Das derzeit noch zeitlich begrenzte Umdenken von ISS und Glass Lewis scheint eben- falls in diese Richtung zu gehen. Für den Investor würde das bedeuten, dass eine Poison Pill nicht nur das Risiko unerwünsch- ter Verwässerungseffekte in sich trägt, sondern auch das Potenzial von außergewöhnlichen Kurser- trägen. Das könnte eine lehrreiche Lektion für eine mögliche zweite Welle der Covid-19-Pandemie bedeuten, aber auch generell für andere globale exogene Krisen- szenarien in der Zukunft gelten. HANS WEITMAYR Entschlossene Anwendung Arten von Poison Pills und die Häufigkeit ihrer Anwendung Die Aggressivität von Poison-Pill-Maßnahmen hat mit dem Ausbruch von Covid-19 zugenommen. Besonders Strategien, die darauf hinausliefen, dass der Anteil, den angreifende Firmen an Aktien (1) oder Derivaten (2) kaufen können, künstlich beschränkt wird, haben zugenommen. Eine – in der früheren Vergangen- heit beliebte – Verbilligung von Aktien (4) für passive/abwehrende Aktionäre fand kaum bis gar keine Anwendung. Das „Spiel auf Zeit“, mit dem verteidigenden Aktionären zum Beispiel mehr Zeit für den Kauf von Optionen etc. bleibt, wurde hingegen de facto jedes Mal betrieben. Quelle: DLA Piper 0 % 20 % 40 % 60 % 80 % 100 % Spiel auf Zeit Flip-in Verbale Kampagne Derivativer Trigger Two-Tier- Trigger 12/31/19 3/31/20 Strategien – Häufigkeit in % » Wir glauben, dass der Markt Covid-bedingte Poison Pills von hochexponierten Unternehmen positiv einschätzt – und belohnt. « Michael Wittry, Ohio State University 144 N o. 3/2020 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S : PO I SON P I L L S

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