Institutional Money, Ausgabe 3 | 2020

aktien zu einem hohen Abschlag zu erwer- ben. Dadurch werden die bereits erworbe- nen Anteile und Stimmrechte des Angreifers verwässert. Derart massive Eingriffe in die Aktionärsstruktur sind unter Umständen je- doch nicht nur für den Angreifer schädlich, sondern auch für andere Investoren, die Kollateralschäden – etwa die Verwässerung der Aktienstruktur – haben manchmal auch für neutrale Aktionäre negative Auswirkun- gen. Proxy-Unternehmen wie ISS oder Glass Lewis, die für institutionelle Investoren Stimmrechtsvertretungen wahrnehmen, haben deshalb „seit der Jahrtausendwende Druck auf Unterneh- men ausgeübt, die Poison Pills in ihren Statuten hatten, und sind zu einem gro- ßen Teil die Auslöser dafür, dass diese Strategie zuletzt nahezu ausgestorben ist“, heißt es in einer entsprechenden Studie der US-Consulter von Veritas. Das Comeback Wobei die Betonung auf „zuletzt“ liegt. Denn die Marktturbulenzen rund um Covid- 19 und die damit verbundenen, teils mas- siven Abschläge haben dazu geführt, dass „die Poison Pill, also die wahrscheinlich stärkste Waffe, um eine Übernahme zu ver- hindern“, ein Comeback feiert, wie es in der Ende April veröffentlichten Studie des Fisher College of Business der Ohio State University heißt. In „The Return of Poison Pills: A First Look at ‚Crisis Pills‘“ schreiben Ofer Eldar, der an der Duke University School of Law wirkt, und Michael Wittry von der Ohio State University, dass „allein von 2. März bis zum Re- daktionsschluss der Studie zumindest 45 gelistete US-Firmen eine Poison Pill ‚geschluckt‘ haben“. Möglicher starker Trend Das würde seit Jahreswechsel einem Plus von rund 29 Prozent gleichkom- men. Und es scheint so, als ginge die- ser Trend weiter. Denn angesichts der geänderten Umstände haben auch die einstigen Totengräber der Poison Pill, also vornehmlich ISS und Glass Le- wis, ihre unversöhnliche Position zu derartigen Maßnahmen aufgeweicht. In einer Analyse bemerkt die An- waltskanzlei Weil, Gotshal & Manges, dass ISS „unter den neu herausgegebenen Richtlinien erklärt hat, in den meisten Fäl- len die Annahme eines ‚Rights Plans‘ für die Dauer von maximal einem Jahr als ge- rechtfertigt anzusehen, wenn es zu starken Beeinträchtigungen durch Covid gekom- men ist“. Zuvor hatte ISS empfohlen, auf Hauptversammlungen bei derartigen Plä- nen, so sie nicht zuvor von den Aktionären gutgeheißen wurden, gegen das Manage- ment und seine neuerliche Berufung zu stimmen. Die Herangehensweise von Glass Lewis ist – und war – mehr oder weniger analog zu jener von ISS. Wenn für die US-Märkte also ein Come- back dieser Abwehrstrategie ins Haus steht, stellt sich für Investoren die Frage, was das für deren Investmentansatz bedeutet – eine Frage, der sich Eldar und Wittry im bereits erwähnten Paper widmen. Sehr ehrlich räu- men die Autoren ein, dass es sich bei ihren Ergebnissen nur um vorläufige handeln kann. Das liegt an der relativ dünnen Datenlage, die eine Untersuchung von 45 US-Unternehmen aus dem Thomson Reu- ters SDC Platinum Dataset ermöglicht. Immerhin: Zu den untersuchten Unter- nehmen gehören auch durchaus bekannte Namen wie Occidental Petroleum, Group- on, Barnes & Noble, Hilton oder Spirit Airlines. Wenn diese durch Covid-19 ausgelösten Poison Pills einen merkbaren Einfluss auf die Kursentwicklung haben sollten, wäre es natürlich interessant zu wissen, welche Art von Unternehmen im gegebenen Umfeld überhaupt dazu neigt, eine „Crisis Pill“ ein- zuwerfen, und ob es überhaupt einen fakti- schen Zusammenhang zwischen der Pandemie und der Maßnahme gibt. Vergessen wir nicht: Die Proxy-Advi- ser sind nur dann tolerant, wenn die Kursabschläge tatsächlich auf Covid- 19 und nicht auf endogene Unterneh- mensschwächen zurückzuführen sind. Also erheben die Autoren zunächst, wie hoch die „Covid-19-Exposition“ einzelner Unternehmen nun wirklich ist. Moody’s-Report Die Autoren kreieren den Faktor „Covid-19-Exposition“ sinnvollerwei- se nicht auf eigene Faust, sondern bedienen sich der Daten eines hochak- tuellen Moody’s-Reports zum Thema ( siehe Chart „Unterschiedliche An- steckungsgefahr“ ). Die Ratingagentur unterteilt die großen Branchen de fac- to nach drei Kategorien: „Starke Ex- position“, „Moderate Exposition“ und „Geringe Exposition“. Demnach wei- sen beispielsweise die Flugindustrie und der Tourismus eine hohe Exposi- FOTO : © OH I O UN I V. » Von Anfang März bis Studienende haben zumindest 45 gelistete US- Firmen eine Poison Pill geschluckt. « Michael Wittry, Ohio State University Starkes Gift, starke Medizin Hohe Covid-19-Exposition entspricht hoher Wirkung Zeitfenster CAR T-Statistik p-Wert Hohes Covid-19-Exposure [0] 0,050*** 6,87 0,000 [-1,1] 0,032** 2,52 0,012 [-2,2] 0,060*** 3,21 0,001 [0,5] 0,101*** 4,54 0,000 [0,10] 0,128*** 3,45 0,001 Niedriges bis moderates Covid-19-Exposure [0] -0,003 -0,49 0,622 [-1,1] -0,027** -2,43 0,015 [-2,2] -0,085*** -5,61 0,000 [0,5] -0,073*** -3,59 0,000 [0,10] -0,078* -2,12 0,034 Differenz (hoch minus niedrig/moderat) [0] 0,053*** 22,85 0,000 [-1,1] 0,059*** 14,61 0,000 [-2,2] 0,145*** 8,63 0,000 [0,5] 0,175*** 21,50 0,000 [0,10] 0,208*** 12,93 0,000 Die CAR, also die außergewöhnlichen kumulierten Erträge, können bei hoher Covid-19-Exposition durchaus spektakulär ausfallen. Quelle: Studie 142 N o. 3/2020 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S : PO I SON P I L L S

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