Institutional Money, Ausgabe 3 | 2020

regulatorische Änderungen auf ein Unter- nehmen, welchen die Belegschaft, welchen die geografische Entfernung?“ Um diese Unschärfen auszublenden, ha- ben die Autoren, anstatt sich unzuverlässi- ger mikro- und makroökonomischer Kenn- zahlen zu bedienen, einen linguistischen Ansatz verfolgt, indem sie aus der Refini- tiv-EIKON-Datenbank 145.902 transkri- bierte Conference Calls von 7.733 gelisteten Unternehmen aus 71 Ländern – darunter Deutschland, Österreich und die Schweiz – ausgewertet haben. Die Intensität der ökonomischen Auswir- kungen wird nun berechnet, indem man die Häufigkeit, mit der der Begriff „Brexit“ auf- tritt, mit der Gesamtzahl der Wörter im jeweiligen Transkript ins Verhältnis setzt. Wortanalyse Um zu erheben, ob bei einem Unter- nehmen das erste Moment des „Risk“ vor- handen ist, wurde untersucht, ob in einer Umgebung von plus/minus zehn Wörtern Synonyme für „Risiko“ oder „Unsicherheit“ auftraten, wobei als Synonymquelle das Oxford English Dictionary diente. Zur Erfassung des zweiten Moments, also „Sentiment“, über das herausgefunden wer- den kann, ob das Management oder die jeweiligen Analysten die Brexit-Auswir- kungen positiv oder negativ einschätzen, wurde im selben Wortabstand nach Be- griffen gesucht, die ein positives oder negatives Gefühl ausdrücken. Die Iden- tifizierung dieser Ausdrücke erfolgte über die Definitionen des Loughran and McDonald Sentiment Dictionary. Stellt man diese beiden Faktoren gra- fisch gegenüber, so fallen zunächst keine Eigentümlichkeiten auf (siehe Chart „Risiko und Sentiment rund um den Bre- xit“) : Während Unsicherheit und Risiko- empfinden unmittelbar nach der Abstim- mung enorm anstiegen, flachten sie bis 2018 ab, um mit den immer schwieriger werdenden Verhandlungen wieder anzu- steigen. Spiegelbildlich entgegengesetzt hat sich das Sentiment entwickelt. Skeptische Deutsche Spannend wird es, wenn die Ergebnis- se auf einzelstaatlicher Basis ausgewer- tet werden. Rechnet man hier das durch- schnittliche Risk und das Sentiment seit 2015 aus, so kommt es zu teils bemerkens- werten Diskrepanzen: So befindet sich bei- spielsweise Deutschland bezüglich der emp- fundenen Unsicherheit auf Platz zwölf ( sie- he Grafik „Brexit-Unsicherheit“ ), beim nach Negativität sortierten Sentiment hin- gegen auf Platz drei ( siehe Grafik „Brexit- Pessimismus“ ). Daraus kann man ableiten, dass deutsche Unternehmer und Analysten eher weniger Unsicherheitspotenzial orten; wenn dieses Risiko aber schlagend werden sollte, gehen sie von äußerst unangenehmen Folgewirkungen aus. Noch markanter ist die Situation in Österreich: Rang 18 bei Risk, Dritter beim Sentiment. Aus Übersichtsgründen haben wir sowohl bei Risk wie auch bei Sentiment jeweils nur die 20 Top-Platzierten abgebildet – sieht man sich beim Sentiment jedoch die gesam- te Liste an, so gibt es mit Israel, Polen, Aus- tralien und den Kanalinseln nur drei Länder beziehungsweise Territorien, die bezüglich des Brexit ein positives Sentiment aufwei- sen. Das bedeutet, dass den optimistischen Prognosen des UK-Premiers von Seiten der Finanz und Wirtschaft wenig bis gar kein Glauben geschenkt wird. Vertracktes Pfund Das drückt sich nicht zuletzt in der inhalt- lichen Auswertung der Transkripte aus. Hier wurde prozentuell herausgerechnet, welche Argumente am häufigsten für positive als auch negative Aussichten ins Feld geführt wurden. Bei den optimistischen Begründun- gen lag ein schlichtes „No Exposure“ mit mehr als 80 Prozent der Nennungen klar an erste Stelle, gefolgt von der Aussicht auf ein schwaches Pfund mit rund 18 Prozent an zweiter Stelle. Genau das Pfund-Ar- gument zeigt aber, wie ambivalent die Brexit-Diskussion insgesamt ist. Denn das selbe Argument führt mit knapp 60 Prozent auch international die Ne- gativliste bei den Pessimisten an. Doch wie korrespondieren „Risk“ und „Sentiment“ mit den Bewegungen an den Aktienmärkten? Verfügen die vorge- stellten Unsicherheits- und Stimmungs- indikatoren über Relevanz, müssten die Märkte entsprechend reagieren. Tatsäch- lich ist dem auch so. Rund um den Brexit mussten sowohl im UK als auch international solche Unternehmen die höchsten Kursverluste realisieren, die bezüglich eines EU-Austritts die höchste Unsicherheit verspürten (siehe Chart  „Je unsicherer, desto höher der Ver- lust“). Das zeigt sich im FTSE auch län- gerfristig, als der Kursverlauf dort gros- so modo den Verlauf der Verhandlungen widerspiegelte – zumindest bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie, der die Wirkung des Brexit überstrahlt hat. So- mit also doch alles eingepreist? Mögli- » Nach 2016 weisen Firmen mit (…) UK-Exposure gegenüber dem Durchschnitt einen 2,6-prozentigen Rückgang bei der Investitionsquote aus. « Stephan Hollander, Universität Tilburg Brexit-Pessimismus Abbildung der Erwartung, dass sich der Brexit negativ auswirkt Deutsche und Österreicher erwarten laut voriger Grafik zwar eher keine Brexit-Konsequenzen. Sollten sie aber doch eintreten, befürchten sie das Schlimmste. Quelle: Studie lrland United Kingdom Deutschland Österreich Norwegen Italien Dänemark Schweden Frankreich Hongkong Neuseeland Singapur Monaco Belgien Chile Griechenland Luxemburg Malaysia Spanien USA 0 0,5 1 120 N o. 3/2020 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S : BR E X I T

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