Institutional Money, Ausgabe 2 | 2020

D er 20. April 2020 wird wohl in die Wirtschaftsgeschichte eingehen. Futures-Kontrakte für die nordamerikanisch Sorte WTI brachen nicht nur ein, sie stürz- ten in negatives Terrain. Ähnliches war zwar schon in der Vergangenheit beobachtet worden – aber niemals mit dieser Wucht. Vorangegangen war dem spektakulären Event eine markante Schwäche des Ölmarktes. Texanisches WTI war bereits auf 20 US-Dollar pro Fass gedrückt worden. Das sind an sich schon Niveaus, die Förderfirmen und Zulieferer enorm unter Stress setzen. Doch minus 30, minus 40 US-Dollar? Wie konnte es dazu kommen? Gab es womöglich Warnsignale? Und gibt es Modelle, mit denen sich erhöhte Stressszena- rien am Ölmarkt prognostizieren lassen? Tatortermittlung Wenden wir uns zunächst der vermeint- lich am leichtesten zu beantwortenden Fra- ge zu – also jener, was da eigent- lich geschehen ist: Am 21. April lief an der New Yorker Rohstoff- börse der Mai-Kontrakt für WTI- Rohöl aus. Wer am 20. April noch ein solches Mai-Papier in den Büchern hatte, lief Gefahr, die dar- in verbriefte Ölmenge tatsächlich physisch geliefert zu bekommen. Das wollte de facto jeder Teilneh- mer verhindern, nicht zuletzt da zu diesem Zeitpunkt ein massives Ungleichgewicht zwischen Ange- bot und Nachfrage bestand. Das führte zu skurril anmutenden Er- eignissen wie etwa jenen rund um eine riesige saudische Tankerflot- te, die Kurs Richtung USA gesetzt hatte – von dort aber aufgefordert wurde, umzukehren. Der texani- sche US-Senator Ted Cruz twitterte in die- sem Zusammenhang unverhohlen an die 24 Supertanker: „My message to the saudis: Turn the tankers the Hell around!“ Laut der Info-Plattform Tanker Trackers hatten die Schiffe knapp 50 Millionen Barrel Öl aus Saudi-Arabien an Bord. Das war fast zehn Mal mehr als die übliche monatliche Liefe- rung. Zu Redaktionsschluss war noch nicht klar, was mit der Flotte geschehen würde – am Ankunftsdatum 23. Mai wurde zuletzt noch festgehalten. Klar ist nur, dass immer mehr Schiffe zu schwimmenden Tanks um- funktioniert wurden – sogenannte „Floating Storages“. Jeder zehnte der weltweit rund 750 Supertanker wird dafür bereits einge- setzt. „Wöchentlich kommen etwa zehn weitere dazu“, sagt Jens Rohweder, Ge- schäftsführer der maritimen Investment- beratung Notos Consult, gegenüber dem „Tagesspiegel“. 60 weitere kleinere Tanker dienten Ende April ebenfalls als Zwischen- lager, wie Zahlen von Lloyd’s List Intelli- gence auswiesen. Demnach waren in Sum- me mehr als 163 Millionen Barrel Rohöl auf hoher See geparkt. „Wir haben beim Floating Storage schon jetzt den bisherigen Rekordstand von 2009 erreicht, aber noch längst nicht das Ende der Fahnenstange. Wir blicken jedenfalls auf Zahlen, die es so noch nie gegeben hat“, schildert Rohweder. Zu viel Retail? Andere Marktteilnehmer wie Marco Dunand, Chef des Genfer Rohstoffhändlers Mercuria, orten wiederum eine fatale Informa- tionsasymmetrie als wahren Aus- löser des Crashs. Gegenüber der NZZ machte er den massenhaften Einstieg von schlecht informierten und obendrein ungeübten Retail- investoren für den Eintritt des „für die meisten Undenkbaren“, wie es Dunand formuliert, verantwort- lich. „Diese handeln nicht profes- sionell mit Öl, waren aber der Überzeugung, dass der Ölpreis Was ist am 20. April 2020 eigentlich passiert, und hätte man es vorhersehen können? Als Auslöser des Debakels gelten Markt- und Informationsasymmetrien. Vereinzelt wird aber bereits der Verdacht der Manipulation geäußert. Neue Modelle könnten in Zukunft vor derartigen Stressszenarien warnen. Ein Crash für die Geschichtsbücher Der furchteinflößend legendäre Kursverlauf des Mai-2020-Futures auf WTI Diese Entwicklung war vom Gros der Marktteilnehmer schlicht nicht vorher- zusehen. Die Erklärungsversuche reichen von makroökonomischen Asymmetrien über schlecht informierte Anleger bis hin zu Marktmanipulation. Quelle: Studie -40 -30 -20 -10 0 10 20 30 USD/Barrel WTI CRUDE FUTURE May20 13. 9. 8. 16. 15. 20. 17. 14. 7. 6. 3. 2. 1. 31. 30. 27. April März 26. 25. 21. FOTO : © HONG KONG MONE TA RY AU T HOR I T Y, M I CHA E L | S TOCK . ADOB E . COM » Wir haben modelliert, wie sich Preis- dynamiken sowohl in Crash- als auch in Preisbandszenarien entwickeln. « Cho-Hoi Hui, Hong Kong Monetary Authority Öl-Crash – eine Spurensuche 142 N o. 2/2020 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S : E RDÖLMARK T

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