Institutional Money, Ausgabe 2 | 2020

A ls die österreichische Finanz- marktaufsicht nach dem zu Redaktionsschluss ersten Höhepunkt des Corona-Ak- tiencrashs ein Leerverkaufsverbot aus- sprach, gehörte der Chef der Wiener Börse, Christoph Boschan, sowohl über Presse- aussendungen als auch soziale Medien zu den ersten Gratulanten. Einige User zeigten sich ob dieser Tatsache verblüfft: Wie kann ein Börsenvorstand, der eigentlich den freien Markt propa- gieren sollte, derart euphorisch auf die Einschränkungen desselben rea- gieren? Boschan konterte diese Kri- tik mit einer Videobotschaft, die den Titel „It’s the special circum- stances, stupid“, trug und in der er Charts in die Kamera hielt, die zei- gen sollten, welche Teile der Kurs- verluste an der Wiener Börse sogenannten Short-Attacken geschuldet und somit nicht gerechtfertigt waren. Die Wiener Börse steht mit ihrem Vor- gehen dabei nicht allein. Marktplätze wie die von Frankreich, Spanien und Griechen- land und die kleine belgische Börse schlu- gen ebenfalls einen restriktiven Kurs ein, große Börsenplätze wie Frankfurt oder Lon- don kamen ohne Einschränkungen aus. Disput um Leerverkäufe Doch wer hat in diesem Umfeld recht? Die Proponenten, die meinen, rasche, über- triebene Kurseinbrüche fügten dem Markt unnötig Schaden zu, könnten kurzfristig die Crashgefahr erhöhen und langfristig zu er- höhten Maximum Drawdowns führen, die schwer aufzuholen seien? Oder diejenigen, die Marktliquidität, Markthygiene und den „Versicherungsschutz“ ins Feld führen, den man durch Leerverkäufe erzielen kann? Christoph Boschan wirkt zu diesen Fragen nach seiner öffentlichen Anfangseuphorie etwas orientierungslos. Fragen danach, wie hoch denn die Short-Attacken gewesen sei- en, kann er nicht originär beantworten. Er verweist stattdessen auf die österreichische Finanzmarktaufsicht und „Medienberichte, die für Österreich von einer Auskunft der FMA über eine Vervierfachung der Leerver- kaufspositionen ab Mitte März berichten und – nachdem die europäische Aufsicht die Meldeschwelle halbierte – von einer Ver- zwölffachung der Leerverkaufspositionen sprechen“. Auch beim Beleg der Kurs- übertreibungen ist der ehemalige Chef der Stuttgarter Börse nicht mehr ganz so sicher – hierbei habe es sich um „nichts weiter als einen Ausdruck der Indizes an dem Tag (ATX, DAX, EuroStoxx) gehandelt“. Fai- rerweise muss man zugestehen, dass der Chef der Wiener Börse nicht der Einzige ist, der sich bei der Bewertung von Short-Ver- boten unsicher ist. Auch in der einschlä- gigen wissenschaftlichen Literatur gibt es unterschiedliche Meinungen zum Thema – einen erhellenden Beitrag liefert gerade aus institutioneller Sicht aber eine aktuelle Ar- beit mit dem Titel „Short-selling constraints and corporate payout policy“. Hang Chen, Yushu Zhu und Liang Chang von den Universitäten Queensland und Guangdong beschäftigen sich mit der Frage, ob Leer- verkaufsrestriktionen Auswirkungen auf Aktienrückkaufprogramme und – vor allem – Dividendenzahlungen haben. Frühere For- In Zeiten von Marktkrisen werden die Rufe nach einer Einschränkung oder gar dem Verbot von Leerverkäufen regelmäßig recht laut. Kleinere Märkte wie die Wiener Börse sind nach dem Corona-Crash genau diesem Ruf gefolgt – möglicherweise mit unbeabsichtigten Nebenwirkungen. FOTO : © BÖR S E W I EN, DEN I S I SMAG I LOV | S TOCK . ADOB E . COM » Zur Dividende stehe ich neutral. Ökonomisch ist es ja egal, ob Dividende fließt oder nicht. « Christoph Boschan, Börse Wien Short-Bann killt Dividenden Small Caps reagieren deutlich auf Aufhebung von Restriktionen Unausgewogene Testreihe – Small Caps DIVIDENDENÄNDERUNG VOR, WÄHREND UND NACH DEM PILOTPROJEKT Pilotgruppe Kontrollgruppe Cross- Erste Diff.-in-Diff.- PILOT = 1 PILOT = 0 sektionaler (DiD)-Periode Durchschn. N Durchschn. N Wert (P-K) T-Wert P-Wert Davor 1,94 1.002 3,05 2.033 –1,11 –2,05 0,04** Während 4,83 680 3,26 1.449 1,57 2,41 0,02** Danach 6,36 514 3,94 993 2,42 3,15 0,02*** Zweite Diff.-in-Diff.- DiD- (DiD)-Periode Schätzwert T-Wert P-Wert Während – davor 2,69 3,16 0,00*** Danach – während 0,85 0,93 0,35 Danach – davor 3,54 3,75 0,00*** Die Dividenden der Pilotgruppe steigen deutlich, nachdem die Leerverkaufsrestriktionen aufgehoben wurden. Ge- schützte Unternehmen erhöhen die Dividende kaum. Quelle: Studie; ***/**/* 99-/95-/90-prozentiges Konfidenzniveau 128 N o. 2/2020 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S : L E E RVE RKAUF S VE RBOT E

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