Institutional Money, Ausgabe 1 | 2020

Ein solches Szenario haben mittlerweile selbst die größten Optimisten in den Wind geschrieben. Finke: Nachdem sich inzwischen eine nach wie vor wachsende Zahl von Infektionen nicht nur in anderen Teilen Asiens, sondern in nahezu der gesamten Welt ausbreitet, werden die möglichen Schäden für die Weltwirtschaft zwar klarer, auch wenn ihr tatsächliches Ausmaß noch nicht wirklich seriös zu beziffern ist. Das betrifft ja nicht nur die direkten Schäden für die chinesische Wirtschaft, die immerhin für mehr als ein Drittel des gesamten globalen Wachstums steht, die nun aber mit Problemen nicht nur bei den Einzelhandelsumsätzen sowie mit dem Zusammenbruch von Reiseaktivitäten und Energieverbrauch zu kämpfen hat. Damit dürfte das offizielle Wachstumsziel Chinas für das laufende Jahr nicht mehr zu erreichen sein. Nicht nur das, auch andere Volkswirtschaf- ten in der Welt werden ohne Zweifel erheb- lich in Mitleidenschaft gezogen werden. Finke: Vollkommen richtig. Einerseits wer- den Länder, die von Exporten nach China abhängig sind, darunter leiden. Davon sind natürlich die Nachbarländer Chinas direkt betroffen, aber auch deutsche Automo- bilhersteller und amerikanische Landwirte. Zudem wird es durch Unterbrechungen von ganzen Lieferketten zu Problemen für Län- der und Unternehmen kommen, die von Importen aus China geradezu abhängig sind. Die Konsequenzen daraus haben Investoren ab Ende Februar zu spüren bekommen, als die Aktienmärkte aufgrund der zunehmenden Unsicherheit bei den Gewinnschätzungen für dieses Jahr mit einem Mal ins Bodenlose gefallen sind und auch die Rohstoffpreise aufgrund schwä- cherer Nachfrageerwartungen eingebrochen sind. Gleichzeitig scheinen neue Rekordtief- stände der Renditen von länger laufenden Staatsanleihen in den USA und Europa eine geradezu dramatische Verlangsamung der Wirtschaftsentwicklung einzupreisen, weil man von einem wahrhaft düsteren Verlauf der Ereignisse ausgeht. Wie sollen Investoren auf eine solche Situa- tion reagieren? Finke: Zunächst einmal ist es wichtig, nicht überzureagieren und einen klaren Kopf zu bewahren. Die neue Krankheit scheint zwar hoch ansteckend zu sein, im Allgemeinen aber nur für ältere Menschen mit ohnehin schwacher Gesundheit oder bestimmten Vorerkrankungen tödlich zu verlaufen. Zudem scheint sich die Zahl der in China gemeldeten neuen Fälle zu verlangsamen, was darauf hindeutet, dass eine weitere Ausbreitung mit den richtigen Maßnahmen eingedämmt werden kann. Umfangreiche Aufklärungsmaßnahmen durch das öffent- liche Gesundheitswesen sowie in einigen Fällen angebrachte Quarantänemaßnahmen in anderen Ländern dürften die Ausbreitung ebenfalls verlangsamen. Konkrete Ratschlä- ge an Investoren sind in einer solchen Situa- tion noch schwieriger als in vermeintlich normalen Zeiten – zumal Ökonomen und Analysten in der Regel grottenschlechte Epidemiologen sind, was im Rückschluss bedeutet, dass jede Prognose zum weiteren Verlauf der Krankheit und den Konsequen- zen für die Kapitalmärkte in der Zukunft mit großen Unsicherheiten behaftet ist. Umsichtige Investoren werden den Verlauf genau beobachten, sich vorsichtig bewegen und sich so gut wie möglich auf die lang- fristigen Fundamentaldaten konzentrieren. Die Frage ist, was Maßnahmen seitens Notenbanken und Politik überhaupt noch ausrichten können. Finke: Immerhin haben sich Regierungen und Zentralbanken darauf geeinigt, in einer konzertierten Aktion durch entsprechende fiskalische und monetäre Maßnahmen zur Unterstützung einer nachlassenden Nach- frage beizutragen, auch wenn einige Beob- » Die jüngsten Schlagzeilen über das Coronavirus haben vor allem eines gebracht: fallende Kursziele, schwindende Gewinnprognosen und insbesondere wachsende Angst. « Tom Finke, CEO von Barings A L L E F OTO S : © CH R I S TO P H H E MM E R I CH 72 N o. 1/2020 | www.institutional-money.com THEOR I E & PRA X I S : TOM F INKE | BAR INGS

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