Institutional Money, Ausgabe 1 | 2020

wird, ist der Output ungefähr um zwei Pro- zent kleiner, anders gesagt, schon nach einer Woche, in der die Produktion still steht, haben wir de facto bereits eine Rezession in Mitteleuropa. Wobei natürlich die Wahr- scheinlichkeit noch angemessen hoch ist, dass wir schnell wieder diesem Tal der Trä- nen entsteigen können, wenn die Produk- tion rasch wieder hochgefahren werden kann, man im Industriebereich zumindest Überstunden fahren und man zusätzlich kurzfristig bei der Kapazitätsauslastung auch einmal über hundert Prozent gehen kann. Aber das bezieht sich alles auf pro- duzierende Betriebe im Industriebereich. Und der Dienstleistungssektor? Felbermayr: Im Dienstleistungssektor ist eine V-förmige Erholung sehr unwahrscheinlich. Dort werden wir eher eine Entwicklung in Form eines langgezogenen U oder, wenn es schlecht läuft, eines L sehen. Jemand, der heute nicht ins Kino geht, wird sich im nächsten Halbjahr wahrscheinlich nicht zwei Filme anschauen. Oder wenn Sie bis- her jedes Wochenende mit ihrer Frau essen gegangen sind, dann werden Sie nicht im zweiten Halbjahr zusätzlich auch jeden Mittwoch ins Restaurant gehen. Noch einmal kurz zurück zur Standortfrage. Was halten Sie von der Reaktion, die es ja von durchaus interessierter Seite gegeben hat, die fordert, dass man auch die Produk- tion selbst wieder zurückholen muss? Felbermayr: Wenn Politiker das fordern, dann sind sie meiner Ansicht nach dazu nicht befugt. Unternehmen werden sich natürlich fragen müssen, was für ihr jeweiliges Ge- schäftsmodell in Zukunft am besten ist. Vie- le Betriebe haben über Jahre hinweg stark auf das Thema Outsourcing gesetzt und große Teile ihrer Produktion nach China oder in andere, zum Teil weit entfernte Län- der gesetzt. Daher wird man angesichts der aktuellen Entwicklung in vielen Unterneh- mens-Boards schon sehr genau analysieren, ob sich hinsichtlich dieser Struktur und die- ser Strategie etwas deutlich verschoben hat. Man wird sich die Frage stellen müssen, ob nicht zum Beispiel dem Thema Liefer- sicherheit ein sehr viel größeres Gewicht eingeräumt werden muss beziehungsweise ob Lieferketten nicht deutlich kürzer wer- den müssen. Das würde dazu führen, dass man eben wieder mehr und größere Lager vorhalten muss, was der Globalisierung schon einen gewissen Dämpfer verpassen würde. Aber das ist nichts, was nun ein Wirtschaftsminister oder irgendwelche Behörden oder sonstige Stellen anordnen müssen. Da sind schon die Manager, die die entsprechende Produktion verantworten, die allerbesten Ansprechpartner. Was können Notenbanken in dieser Situa- tion ausrichten? Sind sie überhaupt die richtigen Ansprechpartner? Felbermayr: Grundsätzlich stehen auch die Notenbanken natürlich unter massivem Druck. Allerdings stellt die Coronakrise zunächst einmal eine angebotsseitige Pro- blematik dar. Die Produktion fällt aus, Lie- ferketten knicken ein. Daran kann die Geld- politik oder – weiter gefasst – die klassische keynesianische Nachfragepolitik wenig än- dern. Es geht vielmehr darum, sehr zielge- richtet und konkret betroffenen Unterneh- men zu helfen. In dieser Beziehung hat die Bundesregierung verschiedene Maßnahmen angekündigt, um Unternehmen finanziell zu A L L E F OTO S : © B E N J AM I N B RO L E T » Einen Vorgeschmack darauf, was es bedeutet, wenn ganze Wertschöpfungsketten unterbrochen werden, haben wir mit dem Tsunami im japanischen Fukushima bekommen. « Prof. Gabriel Felbermayr, Institut für Weltwirtschaft 48 N o. 1/2020 | www.institutional-money.com THEOR I E & PRA X I S : PROF. GABR I E L FE LBERMAYR | I FW

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