Institutional Money, Ausgabe 1 | 2020

Um die Bürger 1980 zum Umstieg auf das damals neue System zu motivieren, wurden die Beitragssätze gesenkt. Damit gelang zwar eine rasche Transformation auf das jetzige Defined-Contribution-System mit in- dividuellen Rentenansparkonten und ren- diteorientierter Kapitalanlage, die nun be- drohliche Ausmaße annehmende Alters- armut war aber bereits vorprogrammiert. Es war der ältere Bruder des heutigen Präsi- denten Chiles, der in seiner damaligen Funktion als Arbeitsminister von Augusto Pinochet mit dem Umbau des Rentensys- tems beauftragt wurde. Der neoliberale Ökonom José Piñera Echenique, der von Milton Friedman und Arnold Harberger be- einflusst war, gehörte der Gruppe „Chicago Boys“ an und war unter Pinochet zunächst Arbeits- und dann Bergbauminister. Zu geringe Beitragsmoral Beim Umbau des Rentensystems verfolg- te Piñeras mehrere Ziele: Neben höheren Renditeaussichten ging es ihm auch darum, die Möglichkeiten des Staates, die Rente als Machtinstrument zu missbrauchen, einzu- dämmen. Bürger sollten als Kunden der neu eingerichteten privaten Pensionsfonds ver- traglich einklagbare Eigentumsrechte erwer- ben könnten. Und schließlich erhoffte sich der Ökonom, dass die Zahl der Beitrags- hinterziehungen sinken und die Investi- tionstätigkeit der privaten Pensionsfonds wirtschaftsbelebende Effekte auf das Land haben würden. Leider erfüllten sich diese Erwartungen nur zum Teil. Während der Effekt der Wirtschaftsbele- bung tatsächlich erkennbar war, erhöhte sich die Moral bei den Beitragszahlungen nicht wie gewünscht. Chile hat heute ein Pro-Kopf-Einkommen von umgerechnet 22.500 Euro und ist damit das reichste Land Lateinamerikas, die Zahl der Beitrags- hinterziehungen ist aber nach wie vor viel zu hoch. Im Jahr 2000 betrug die Zahl der aktiven Beitragszahler in Chile gerade einmal 60 Prozent, denn Selbstständige und informell Beschäftigte zahlen in der Regel nicht oder nur unregelmäßig in das System ein. „Es stellt sich heraus, dass die Men- schen in Chile im Schnitt nur etwa 50 Pro- zent der Zeit Beiträge ins Rentensystem geleistet haben“, erklärt Abbad. „Die Bürger gingen davon aus, dass sie im Rentenalter einmal rund 60 bis 70 Pro- zent ihres letzten Einkommens als Rente beziehen würden, und nun ist es deutlich weniger. Wenn Sie nur 50 Prozent ihres Arbeitslebens einzahlen, können eben auch nur 50 Prozent Ihrer erwarteten Rente raus- kommen“, meint Abbad und ergänzt: „Hin- zu kommt, dass die Löhne in den letzten zehn Jahren enorm gestiegen sind, entspre- chend sind die Erwartungen der Bevölke- rung an ihre künftigen Renten gestiegen. Aber so funktioniert das natürlich nicht, denn die Beitragszahlungen beruhen ja auf den niedrigeren Löhnen der Vergangenheit, und die damaligen Berechnungen gingen davon aus, dass in 100 Prozent der gearbei- teten Monate Beiträge entrichtet würden.“ Höhere Lebenserwartung Außerdem ist – wie in vielen anderen Ländern auch – die Lebenserwartung ge- stiegen. „In den 80er-Jahren, als das System Die Bürgerproteste in Chile wurden im Oktober 2019 durch die geplante Erhöhung des Metro-Fahrpreises ausgelöst. Mittlerweile richten sie sich vor allem gegen das unzureichende private Altersvorsorgesystem, zu hohe Strompreise und gegen die soziale Ungleichheit im Land. Die Protestbewegung „No Más AFP“ (übersetzt „Schluss mit den AFPs“) wettert gegen die Pensionsfonds. N o. 1/2020 | www.institutional-money.com 261 S T E U E R & R E C H T | R ENT ENS Y S T EM CH I L E

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