Institutional Money, Ausgabe 1 | 2020

G rundsätzliche Konstruktions- fehler in Renten- und Pen- sionssystemen haben eine besondere Qualität: Sie wer- den erst nach sehr langer Zeit sichtbar, sind dann aber kaum mehr sanierbar. Einen ent- sprechenden Paradefall kann man derzeit in Chile beobachten. Das ist vor allem deshalb beachtens- wert, weil die Probleme Chiles von Kritikern kapitalgedeckter Systeme als Argument gegen dieses Kon- zept verwendet werden könnten. In Ländern, die ohnedies damit zu kämpfen haben, neben umlage- finanzierten Systemen auch eine zweite und dritte Säule zu errich- ten, erschwert derlei Kritik die Reformen zusätzlich. Zugegeben, oberflächlich betrach- tet scheint das chilenische System geschei- tert zu sein. Schon seit einigen Jahren neh- men die Proteste in dem südamerikanischen Land zu, wobei im Herbst des Vorjahres ein neuer Höhepunkt erreicht wurde. In Massen gehen die Menschen auf die Straße, um gegen zu niedrige Renten zu protestieren. Viele Chilenen erhalten heute Ruhestands- bezüge, die deutlich unter den Mindestlöh- nen liegen. Kaum ein Artikel zum Thema kommt ohne die Beschreibung bewegender Einzelschicksale aus, Medienberichten zu- folge hat sich aus diesem Grund sogar die Selbstmordrate in dem Land zuletzt deutlich erhöht. Wegen der anhaltenden Proteste wurden Ende 2019 auch ein Weltklimagip- fel COP 25 und der Asien-Pazifik-Gipfel (Apec) abgesagt. Blickt man jedoch genauer hin, verdichtet sich der Eindruck, dass der „Fall Chile“ kei- neswegs als Argument gegen kapitalgedeck- te Systeme taugt. In diesem Rentensystem, das viele Jahre lang von internationalen Beobachtern als vorbildlich gelobt wurde, ist zwar einiges schiefgegangen, ein grund- sätzliches Problem besteht aber nicht. „In den Jahren 2016 und 2017 gingen die ersten Rentner des neuen Systems in den Ruhe- stand, und es zeigte sich, dass die Renten- höhe deutlich niedriger ausfiel, als die Men- schen erwartet hatten“, bringt Gonzalo Ren- gifo Abbad, Head of Distribution bei Pictet Asset Management Iberia & Lateinamerika, das zentrale Problem auf den Punkt. Viele chilenische Rentner bekommen zu geringe Altersbezüge, weil sie zu wenig einbezahlt haben. Und das ist nur einer von mehreren Faktoren, die zur heutigen Problematik ge- führt haben. Die zu geringe Dotierung der Pensionsguthaben war ein Fehler, der schon beim Start des Systems gemacht wurde. Das unter Augusto Pinochet eingerichtete Defined-Contribution-Rentensystem Chiles galt lange als wegweisend. Nach 40 Jahren werden nun die Fehler sichtbar, die beim Umbau der chilenischen Altersvorsorge gemacht wurden. Als Argument gegen kapitalgedeckte Systeme taugen sie aber nicht. FOTO : © N I COL A S R I GHE T T I | R E ZO. CH, S A S S ENF E L D | S TOCK . ADOB E . COM » Chiles Pensionsfonds haben sich aktiv an der Entwicklung der Infrastruktur und des Kapitalmarktes des Landes beteiligt. « Gonzalo Rengifo Abbad, Head of Distribution, Pictet Asset Management Iberia & Lateinamerika Unter dotiert Das chilenische Rentensystem wurde 1980 eingeführt und gilt als besonders modern. Es ist ein reines Defined-Contribution-System, mit individuellen Renten-Ansparkonten. Einführung des neuen Systems: 1980 100 % Defined Contribution (DC), Art des Systems: individuelle Rentenansparkonten Renteneintrittsalter für Altersrente: 60 für Frauen, 65 für Männer Anzahl Pensionsfonds: 6 Gesamtvolumen der 6 Pensionsfonds 2018: 193 Mrd. USD (177 Mrd. Euro) Anteil des Volumens der Pensionsfonds am BIP: 65 % Anteil des Aktienbestands der Pensionsfonds an der chilenischen Börsenkapitalisierung: 30 % Asset Allocation 2018 im Schnitt 39 % Aktien, 61% Renten, über alle Pensionsfonds: Alternatives < 1% Anteil der Auslandsinvestitionen am Gesamtvolumen der Pensionsfonds: 41 % (erlaubt sind 80 %) Anteil des Pensionsfondsvolumens, das in Investmentfonds investiert ist: 38 % Mittlerweile machen Chiles Pensionsfonds einen guten Teil des Bruttoinlandsprodukts aus. Ihre Investitionen sind wichtig für das Wirtschaftswachstum. Quelle: PwC: „Evolution of Foreign Investments by Pension Funds, 2020 Edition“, und Superintendencia de Pensiones, Chile 260 N o. 1/2020 | www.institutional-money.com S T E U E R & R E C H T | R ENT ENS Y S T EM CH I L E

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