Institutional Money, Ausgabe 1 | 2020

markt einsteigen, hat einen weiteren Grund: Die Städte erteilen für gemischt genutzte Immobilien viel leichter Baugenehmigun- gen. Quartierentwicklung heißt das Zauber- wort. „Wir sehen immer mehr Entwicklun- gen von Mischquartieren, zum Beispiel ba- sierend auf ehemaligen Industriestandor- ten“, beobachtet Seul. „Die Städte wollen etwas gegen die eklatante Wohnungsnot tun und behandeln diejenigen Investoren bevor- zugt, die ganze Quartiere entwickeln und hier auch Sozialwohnungen, Kindergärten und andere Einrichtungen planen.“ Callender stimmt zu: „Das ist so. Entwickler müssen einfach die Kost- en für den Bau von Kitas, Sozial- wohnungen, Spielplätzen und so weiter in ihrer Kalkulation berück- sichtigen. Dann wird da auch ein Schuh draus.“ Aufwertung Hier gibt Andre Schmöller, Chief Investment Officer des in München beheimateten Wohnimmobilienspe- zialisten Domicil AG ein Beispiel. Domicil ist ein Wohnungsprivatisie- rer, der darauf spezialisiert ist, Objek- te zu kaufen, zu teilen und in einen guten Zustand zu bringen, um sie dann am Markt als Eigentumswoh- nungen zu verkaufen. „Wir hatten einen größeren Wohnimmobilienbe- stand in Bielefeld. 2018 fehlte dort die Struktur vor Ort. Als dann auch noch der Supermarkt seinen Betrieb aufgab, der Bäcker zumachte und die Bankfiliale schloss, zogen viele Menschen weg. Wir haben das Quartier dann entwickelt, haben einen neuen Supermarkt dort ange- siedelt und auch einen Bäcker, eine Apotheke, eine Volksbank-Filiale und eine Lotterieannahmestelle. Das war wie eine Quartierentwicklung light, und es hat gut funktioniert. Wir konnten dann die Wohnungen gut verkaufen.“ Für größere Quartierentwicklun- gen gibt es in den Metropolen viele Beispiele, etwa das Europaviertel in Frankfurt auf einem ehemaligen Bahngelände, die Heinrich-Lübke- Siedlung in Frankfurt mit Gebäuden aus den 1970er-Jahren oder das „Quartier Martini“, wo es in Ham- burg nach Schließung des Krankenhaus Be- thanien heute um „Generationen gemein- sam in Eppendorf“ geht. Prominent ist auch die Quartierentwicklung des Geländes um den Flughafen Tegel, wenn der Flughafen BER einmal den Flughafen TXL ablösen wird. Solche Quartierentwicklungen finden auch unter der Thematik Nachhaltigkeit, In- klusion und Gemeinwohlsteigerung statt und stellen dann eine Win-win-Situation für Investoren, Kommunen und Nutzer dar. Hamburgs Stadtentwickler haben hier mit ihren Business-Improvement-District-Mo- dellen (BIDs) Meilensteine gesetzt, bei- spielsweise mit dem BID Sachsentor, das im Sommer 2005 das erste BID in Deutsch- land war, und mit dem BID Neuer Wall. Mittlerweile gibt es zahlreiche BIDs in Europa. Sie passen gut zum allgemeinen Nachhaltigkeits- und Ökologietrend, der na- türlich auch vor der Assetklasse Immobilien nicht haltmacht. „Der Markt zwingt die Investoren dazu, kreativer zu sein“, meint Rockel. „Auch kleinere Pensionskassen beschäftigen sich heute damit, wie sie eine Immobilie oder einen Be- zirk schöner, nützlicher und diver- sifizierter gestalten können. Teilwei- se nehmen sie auch Baurisiken in Kauf – das haben wir früher so nicht gesehen.“ Auch wenn die Immobilienbran- che eher als traditionell und behäbig gilt, wirken hier die veränderten Le- bensweisen und das geänderte Such- verhalten der Nutzer. Man denke an urbane Hipster, die nur übergangs- weise in einer Stadt und möglichst vollständig möbliert wohnen und et- was erleben möchten; Buchungen über Onlineportale, wo sich das Au- ge gern an etwas Besonderem fest- hält; junge Unternehmen, die lieber auf Co-Working-Büros setzen, als nackte Geschäftsräume zu mieten. Auf dieses neue Verbraucherverhal- ten müssen sich auch Immobilien- investoren einstellen. Sonst gehen sie über lang oder kurz baden wie der 178 Jahre alte Reiseanbieter Thomas Cook, der offenbar das ge- änderte Technologie- und Buchungs- verhalten seiner Kunden nicht ernst genug genommen hat. Der bekannte Werbespruch „Wohnst du noch oder lebst du schon?“ fasst gut zusammen, worauf sich Wohnimmobilieninvestoren ein- stellen müssen. Hier suchen Mieter heute mehr als vier Wände und eine Tür, sondern auch Gemeinschafts- räume, Serviceeinrichtungen und Nahversorgungsmöglichkeiten. Ge- nau das spricht für Quartierentwick- lungen und mehr Fantasie bei der Projektentwicklung. ANKE DEMBOWSKI Städte-Ranking Paris gilt als attraktiv, Moskau als unattraktiv. Rang Stadt Aussicht 1 Paris 2,16 ^ 2 Berlin 2,13 ^ 3 Frankfurt 2,07 ^ 4 London 2,03 ^ 5 Madrid 1,89 ^ 6 Amsterdam 1,85 ^ 7 München 1,82 ^ 8 Hamburg 1,68 – 9 Barcelona 1,54 – 10 Lissabon 1,52 – 11 Mailand 1,36 – 12 Dublin 1,35 – 13 Brüssel 1,32 – Durchschnitt 14 Warschau 1,14 – 15 Wien 1,09 – 16 Luxemburg 1,06 – 17 Zürich 0,95 – 18 Stockholm 0,92 – 19 Kopenhagen 0,87 – 20 Prag 0,85 – 21 Helsinki 0,79 – 22 Rom 0,78 – 23 Manchester 0,72 – 24 Birmingham 0,64 – 25 Edinburgh 0,60 – 26 Lyon 0,59 27 Budapest 0,56 28 Athen 0,55 29 Oslo 0,37 30 Istanbul 0,35 31 Moskau 0,17 ^ Stadt liegt mehr als eine Standardabweichung über dem Mittelwert. – Stadt weicht +/– eine Standardabweichung vom Mittelwert ab. Stadt liegt mehr als eine Standardabweichung unter dem Mittelwert. Für die PwC-Umfrage haben 905 Immobilienexperten ihre Einschätzung zu 31 europäischen Städten abgegeben. Das Scoring geht von „vermeiden“ (0) bis „exzellent“ (5) und stellt die Durchschnittswerte der Antworten dar. Quelle: Emerging Trends in Real Estate Europe, PwC (2020) ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ 246 N o. 1/2020 | www.institutional-money.com P R O D U K T E & S T R A T E G I E N : IMMOB I L I EN I NVE S TMENT S

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