Institutional Money, Ausgabe 1 | 2020

„In der Vergangenheit war man gut bera- ten, dann in Substanzwerte zu investieren, wenn das Bewertungsgefälle zwischen den günstigsten und den teuersten Aktien auf dem Markt am höchsten war – zum Bei- spiel als die Technologieblase Anfang der 2000er-Jahre platzte. Je höher das Bewer- tungsgefälle, desto größer das Potenzial für eine Korrektur, sobald sich neue Impulse bemerkbar machen“, erklärt Stroh. Es könnte derzeit viel- leicht wieder so weit sein: Das erwähnte Bewertungsgefälle zwischen Wachstums- und Sub- stanzaktien ist im Langfristver- gleich seit Beobachtungsbeginn 1975 erneut recht deutlich aus- geprägt (siehe Grafik „Ausge- prägtes Bewertungsgefälle“) . Für Andreas Wosol, Head of Value bei Amundi, ist das aktu- elle Missverhältnis zwischen den zwei Marktsegmenten Value und Growth eine seltene Aus- nahme, die es zu nutzen gilt. Solche Verwerfungen neigten nämlich dazu, sich umzukeh- ren, wodurch sich für Investo- ren Renditepotenzial eröffnet. „So zog die Value-Unterbewer- tung im März 2000 eine Outperformance von fast 55 Prozent des globalen Wertindex gegenüber dem globalen Wachstumsindex im Folgejahr nach sich“, sagt Wosol. Hoffen auf einen Trigger Nur weil Value im Vergleich zu anderen Stilen als günstig angesehen wer- den kann, müssen Substanzaktien nicht automatisch auf lange Sicht steigen. Investoren sollten vor einem Einstieg auf einen Paradigmen- wechsel an den Märkten, auf den entscheidenden „Trigger“, warten. Ein möglicher Auslöser für einen Stimmungswechsel bei Investoren könnte ein beginnender Bärenmarkt bei Growth-Aktien sein. Die Wahr- scheinlichkeit dafür steigt. Denn in diese Papiere ist über ETFs viel an „Hot Money“ geflossen, das bei beginnender Marktschwäche rasch wieder abgezogen wird. Das war bei den Marktkorrekturen der letz- ten Jahre immer wieder zu beob- achten. Darüber hinaus sind auch aktive Fondsmanager in Wachstumsaktien seit Jahren überinvestiert und erachten dies selbst als den am meisten „überlaufenen“ („overcrowded“) Trade, wie die monatli- chen Fondsmanagerbefragungen der Bank of America zeigen. „Ein Katalysator für eine Favoritenum- kehr an den Märkten könnte ein verbesser- tes wirtschaftliches Umfeld in zyklischen Bereichen der Wirtschaft sein, das Sub- stanzwerten zusätzlich Auftrieb verleihen dürfte“, meint Tilmann Galler, Kapital- marktstratege bei J.P. Morgan AM. Rücken- wind dafür könnten steigende Investitionen in das 5G-Netzwerk wie auch günstigere Refinanzierungsbedingungen geben. Zu- sätzlich können neue Infrastrukturpro- gramme zur Konjunkturankurbelung sowie ein Umbau der Wirtschaft in Richtung mehr Nachhaltigkeit zyklischen Branchen und damit Value-Aktien helfen. Im Idealfall füh- ren zusätzliche Staatsausgaben zu höheren Zinsen in Verbindung mit einer steileren Zinsstrukturkurve, wovon die mittlerweile als „Deep Value“ zu bezeichnenden Banken stark profitieren würden. Dafür könnte ausgerechnet das Aufkom- men des Coronavirus sorgen. Denn in Kri- senzeiten könnten Politiker vor dem Hinter- grund rekordniedriger Zinsen ihr Sparkor- sett bei der Führung öffentlicher Haushalte abstreifen und zur Sicherung ihrer Wieder- wahl milliardenschwere Konjunkturpro- gramme lancieren. Finanziert werden könn- ten diese Staatsausgaben über die Zentralbanken, was auf eine An- wendung der „Modern Monetary Theory“ (MMT) in der Praxis hin- auslaufen könnte. Diese Geld- schwemme sollte insbesondere Value-Aktien helfen, meint Franz Wenzel, Anlagestratege für institu- tionelle Investoren bei AXA IM: „Glaubt man den Marktmustern der Vergangenheit, so sollten insbeson- dere Value-Titel von der Über- schussliquidität profitieren.“ Das wohl eingängigste Argument pro Value nennt Marc Renaud von Mandarine Gestion: „Es kann keine falsche Strategie sein, Aktien dann zu kaufen, wenn sie günstig bewer- tet sind.“ ANTON ALTENDORFER Ausgeprägtes Bewertungsgefälle Growth ist historisch teuer. Gemessen an der Bewertung basierend auf KGV und Dividendenrendite (Y-Achse) sind europäische Value-Aktien im Vergleich zu Growth-Titeln so günstig bewertet wie zuletzt während der Technologieblase Anfang des Jahrtausends. Quelle: J.P. Morgan Asset Management -2 -1 0 1 2 3 4 Technologie- blase aktuell 2020 2015 2010 2005 2000 1995 1990 1985 1980 1975 MSCI Europe Growth Index vs. MSCI Europe Value Index » Zuletzt waren die Anleger in der Internet- blase des Jahres 2000 so konzentriert in so wenigen US-Aktien investiert wie heute. « Dr. Jens Ehrhardt, Gründer von DJE Kapital » Es gibt gute Gründe, sich vom Wachs- tumshype zu verabschieden und langfristig in Value-Aktien zu investieren. « Goran Vasiljevic, CIO und Sprecher der Geschäftsführung bei Lingohr & Partner AM FOTO : © A X E L GAUB E , HEMME R I CH 198 N o. 1/2020 | www.institutional-money.com P R O D U K T E & S T R A T E G I E N : VA LUE - AK T I EN

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