Institutional Money, Ausgabe 1 | 2020

T echnische Innovationen wie Cloud Computing, Digitalisie- rung oder künstliche Intelli- genz und die damit einherge- hende immer stärkere Vernetzung lassen in der realen Ökonomie keinen Stein mehr auf dem anderen. Dementsprechend verstärkt sich auf der einen Seite die Kritik an bewährten Indikatoren wie dem KGV, wäh- rend auf der anderen Seite intensiv nach neuen Messzahlen gesucht wird. So hat Institutional Money über Vorschläge berich- tet, Firmen wie Amazon oder andere Tech- Giganten nicht mehr über den Gewinn, son- dern anhand ihrer Innovationskraft zu be- werten. So könnten immaterielle Vermö- genswerte oder Investitionsvolumina zum Kurswert der Aktie ins Verhältnis gesetzt und anhand dieser Kennzahl Portfolios mit – zumindest im erfolgten Testlauf – beein- druckenden Ergebnissen zusammengestellt werden. Auch Thomas J. Chemmanur von der Carroll School of Management des Boston College hat sich die Frage gestellt, wie man die Innovationskraft von Unternehmen mes- sen kann. Der recht ausführliche Titel der einschlägigen Arbeit lautet: „What is the value of an innovation? Theory and evi- dence on the stock market’s reaction to innovation announcements“. Mit seinen Co- Autoren Dongmei Li, Kevin Tseng und Yu Wang hat der Bostoner Professor aber nicht Firmenkennzahlen, sondern auch die Effek- te, die eine Patentzulassung und die zeitlich verzögerte Zulassung durch die US-Behör- de FDA haben, untersucht. Die damit verbundene Intuition ist relativ einleuchtend: Je mehr markttaugliche Pa- tente, desto erfolgreicher sollte das Unter- nehmen in der Zukunft sein. Das Hauptpro- blem: Im Einzelfall ist es schlicht nicht möglich, sicher zu prognostizieren, ob ein Patent zu einem erfolgreichen Produkt oder ein desaströser Rohrkrepierer wird – somit sind die damit verbundenen Risiken ebenso unübersichtlich. Chemmanur will diese Pro- blematik umschiffen, indem er Einzelanaly- sen vermeidet und versucht, mit statisti- schen Mitteln zu einer Lösung zu kommen. Er baut dabei auf Erkenntnissen von Kogan, Papanikolaou, Seru und Stoffman in ihrer 2017 erschienenen Arbeit „Technological innovation, resource allocation, and growth“ auf. Demnach „korreliert der ökonomische Wert eines Patents mit der Höhe der Kurs- gewinne unmittelbar nach der Ankündi- gung“. Die Betonung liegt dabei auf unmit- telbar. Chemmanur und seine Kollegen haben sich aber gefragt, ob sich die Effekte einer ökonomisch wertvollen Patentanmel- dung nicht doch länger manifestieren und entsprechend genützt werden könnten. Den Drift nützen Zum Zeitpunkt der Patentzulassung ist ein Unternehmen laut Chemmanur entwe- der unter- oder überbewertet, je nachdem, als wie wertvoll sich diese Innovation her- ausstellt. Außerdem stellt Chemmanur die Annahme von „aufmerksamen“ und „weni- ger aufmerksamen“, aber in jedem Fall risi- koaversen Marktteilnehmern auf. Die auf- merksamen Teilnehmer, die die mediale Berichterstattung rund um die mögliche Patentvergabe verfolgt haben, reagieren so- fort und setzen Handelsaktivitäten. Da es sich jedoch um risikoaverse Akteure han- delt, bleibt ein Rest des Marktungleichge- wichts bestehen. Die Informationen über das neue Patent sickern nun zu den weniger gut informierten Marktteilnehmern durch, die entsprechend zeitverzögert reagieren, wodurch es zu einem Drift in der Kurs- entwicklung kommt. Stimmt diese These, sollte es möglich sein, aus einer Nachricht Profit zu schlagen, selbst wenn diese schon einige Zeit bekannt ist. Der Autor stellt sich mit diesem Verdacht ganz klar gegen die Theorie der perfekten Märkte mit vollkommener und symmetri- scher Information. Mathematisches Modell Stattdessen hält er sich an behavioristi- sche Erkenntnisse sowie die Methoden ma- schineller Textauswertung und entwirft ein mathematisches Modell, das der bereits er- wähnten Kernannahme folgt, wonach „auf- merksame“ und „weniger aufmerksame“ Marktteilnehmer existieren. Diese werden über den Zeitpunkt ihres Markteintritts de- finiert. Aus Sicht der Autoren gibt es in der Zeitreihe des Modells fünf relevante Punk- te: Bei t = 0 investiert ein Pharmaunterneh- men in ein neues Medikament. Zum Zeit- punkt t = 1 wird bekannt, ob ein Patent ge- währt oder nicht gewährt wurde. „Aufmerk- same Marktteilnehmer“ reagieren, „weniger aufmerksame“ verpassen diesen Moment, da die Nachrichten erst bei t = 2 zu ihnen durchsickern. Sie adaptieren ihre Erwartun- gen an die Aktie und reagieren. Nun vergeht eine gewisse Zeit, bis t = 3 eintritt und die Können breit aufgestellte Investoren von technischer Innovation profitieren, oder schöpfen spezialisierte Investoren den Rahm ab, bevor der Rest des Marktes reagieren kann? Eine neue Studie, die die Effekte von Patentanmeldungen längerfristig untersucht, macht der breiten Masse Hoffnung. FOTO : © TOA 5 5 5 | S TOCK . ADOB E . COM » Der ökonomische Wert eines Patents korreliert mit der Höhe der Kursgewinne direkt nach der Ankündigung ebenso wie mit dem Drift. « Thomas J. Chemmanur, Carroll School of Management des Boston College In den Drift gehen 140 N o. 1/2020 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S : I NNOVAT I ON

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