Institutional Money, Ausgabe 1 | 2020

zeigt, dass Schuldner in den Branchen, in denen sich Banken spezialisieren, signifi- kant weniger Kredit im Gefolge eines An- stiegs des Immobilienwertes im Betriebs- vermögen bekommen. Zudem sind spe- zialisierte Banken besser darin, Mittel zu hochproduktiven Firmenkreditnehmern zu schleusen, wenn Immobilien wertvoller werden. Banken ohne Spezialisierung sind nicht in der Lage, zwischen qualitativ hoch- wertigen und weniger hochwertigen Kredit- nehmern zu unterscheiden. Die Wichtigkeit dieses Wissens der Banken um die Qualität ihrer potenziellen Kreditnehmer lege die Vermutung nahe, so Dörr, dass die rasche geografische Ex- pansion der Banken in neue Märkte den Immobilienboom – und mit ihm die schwache Res- sourcenallokation – befeuert hat. Wirkung des Kreditwachstums Dörrs Arbeit leistet hier einen Beitrag in Bezug auf jene Studien, die sich mit der Auswirkung des Kreditwachstums auf die aggregierte Produktivität beschäftigen. Jün- gere Studien zu Blasen betonen die Wich- tigkeit von Fluktuationen des Wertes der Sicherheiten bei der Reallokation von Res- sourcen, gehen aber üblicherweise von einem exogenen Produktivitätspfad aus. Einige empirische Arbeiten diskutieren die Wirkung eines Kreditbooms unter Zuhilfe- nahme von makroökonomischen Daten. Gary Gorton und Guillermo Ordoñez von der University of Pennsylvania zeigten 2016, dass Kreditbooms zu einem scharfen Anstieg des Outputs und der Investitionen führen, aber oft dabei versagen, die gesamt- wirtschaftliche Produktivität zu erhöhen. Moritz Schularick und Alan M. Taylor wie- derum betrachteten eine große Zahl von Staaten von 1870 bis 2008 und konstatier- ten, dass viele Kreditbooms zu Finanzkrisen führten. Joshua Aizenman, Yothin Jinjarak und Huanhuan Zheng gelangten zu der Erkenntnis, dass ein Rückgang der Häuser- preise zu einem Produktivitätsanstieg führen kann. Die Ergebnisse von Dörr stehen in Beziehung zu den jüngsten Studien von Claudio Borio, Enisse Kharroubi, Christian Upper, Fabrizio Zampolli und Zhan Shi, die sich mit der Reallokation von Arbeit und unternehmerischem Talent branchenüber- greifend während des Kreditbooms beschäf- tigen. Dörr gelingt es zu zeigen, dass Änderun- gen in den Immobilienpreisen Unterneh- mensentscheidungen und die aggregierte Produktivität beeinflussen. Da immobilien- besitzende Firmen signifikant weniger pro- duktiv sind als jene ohne Immobilienbesitz, hat der relative Anstieg der Bedeutung die- ser unproduktiven Firmen eine relative Re- allokation ausgelöst und die aggregierte Produktivität verringert. Über einen Zeit- raum von 2,5 Jahren beschneidet ein zehn- prozentiger Anstieg der Immobilienwerte in der Bilanz das Wachstum der Produktivität einer gesamten Branche um einen halben Prozentpunkt. Die Kovarianz zwischen Unternehmensgröße und -produktivität ver- ringert sich, und der Anteil an schlecht aus- gebildeten Arbeitern innerhalb der Indus- triebranchen steigt. Diese Ergebnisse fallen für eine Stichprobe großer börsennotierter US-Firmen und für das Universum der amerikanischen Betriebe des verarbeitenden Gewerbes ähnlich aus. Gefahr von Fehlallokationen Dörr betont die Wichtigkeit der Beschrän- kung des Collaterals für die Allokation der Faktoren Kapital und Arbeit und öffnet die Blackbox in Bezug auf die Gründe, die zu Fehlallokationen führen. Die Erkenntnisse der Studie laufen eindeutig darauf hinaus, dass firmenspezifische Verzerrungen wie Collateral-Beschränkungen bei Immobilien zu Reallokationen von Ressourcen führen und die aggregierte Produktivität verringern können. Zudem bietet Dörr eine einheitliche Interpretation dafür an, wie diese Fehlallo- kation die Zyklizität der Produktivität ver- ringert und warum „Housing Booms“ mit schlechten Booms assoziiert werden. Wäh- rend der 20 Jahre, die der Finanz- und Wirt- schaftskrise vorausgingen, haben steigende Immobilienpreise die Anforderungen an die Kreditsicherheiten verringert, wodurch Res- sourcen in Richtung unproduktiver Firmen geschleust wurden. Dieser Umstand verrin- gerte das Produktivitätswachstum in einer Zeit der wirtschaftlichen Expansion, was zu azyklischer gesamtwirtschaftlicher Produk- tivität und einer Verringerung der Effizienz führte. Während sich andere Arbeiten mit der Angebotsseite von schlechter Kreditallo- kation quer über die Sektoren befassen, konzentriert sich Dörr auf die Nachfragesei- te der Reallokation als Folge von Verände- rungen des Wertes der Kreditsicherheiten. Azyklische Entwicklung Die Ergebnisse dieser Studie schlagen eine mögliche Erklärung dafür vor, warum die Produktivitätsentwicklung in den letzten 20 Jahren weniger zyklisch verlief und wa- rum der Beitrag der Reallokation von Res- sourcen zur aggregierten gesamtwirtschaft- lichen Produktivität gesunken ist. Die Res- sourcen-Fehlallokation in Richtung ineffi- zienter Unternehmen während eines Auf- schwungs verringerte das aggregierte Pro- duktivitätswachstum trotz der insgesamt steigenden Wirtschaftsleistung. Ein Betäti- gungsfeld für weitere Studien bleibt die Fra- ge, ob der Hauspreisverfall in den USA im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise und die sich daraus bildende Rezession dazu in der Lage waren, diese Fehlallokation zu be- reinigen. Während Rezessionen einen reini- genden Effekt haben können, legen Zahlen aus Europa den Verdacht nahe, dass dies in der letzten Krise nicht der Fall war – man denke nur etwa an die von der deutschen Bundeskanzlerin verordnete Rettung von Opel, obwohl das Unternehmen als schwächster Automobilproduzent hätte aus- scheiden müssen. Dörrs Studie legt einen Kanal offen, durch welchen die lockere Geldpolitik das Produktivitätswachstum in der Eurozone schwächen könnte. DR. KURT BECKER » Dörrs Arbeit leitet her, dass sich steigende Immobilienpreise negativ auf die gesamt- wirtschaftliche Produktivität auswirken. « Prof. Dr. Michael Binder, Gründungsdekan der Graduate School of Economics Finance and Management am House of Finance der Frankfurter Universität FOTO : © HANNE LOR E FOE R S T E R 132 N o. 1/2020 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S : GE LDPOL I T I K

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