Institutional Money, Ausgabe 1 | 2020

in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts oder das nur mehr mit sechs Prozent ver- rechnete Rothschild-Darlehen an den Vati- kan rund ein halbes Jahrtausend später frei. Aus dieser Datenmenge erschließt sich ein ziemlich eindrückliches Bild, wonach das weltweite Zinsniveau tatsächlich nicht erst seit vielleicht 70 Jahren, sondern vielmehr seit 700 Jahren sinkt. Fallender Trend Das Bild wird noch klarer, wenn man die Daten BIP-gewichtet und auf relevante Epochen herunterbricht ( siehe Chart „Der lange Weg zur Nulllinie“) . Der Autor sieht hier vor allem das „Bullion Famine“ des 15. Jahrhunderts als Knackpunkt der europäi- schen Zinsgeschichte. Damals war in Europa das Angebot an Silber auf existenz- bedrohende Art und Weise eingebrochen. Ausgelöst wurde der Mangel einerseits durch ein massives Handelsdefizit mit Asien und andererseits durch die rückläufi- ge Silberproduktion in Europa. Das hatte zur Folge, dass immer weniger Geld zur Verfügung stand und der Wirtschaftskreis- lauf nahezu zum Erliegen kam. Erst durch technische Innovationen in der Silbergewin- nung konnte dieser Trend gestoppt und um- gekehrt werden. Diese Notlage hat jeden- falls laut Schmelzing dazu geführt, dass das in den Münzen verarbeitete Silber wertvol- ler wurde, was bis zum Ende des 15. Jahr- hunderts zu einem massiven Zinsanstieg führte. Diese These erhärtet sich, wenn man sich die Zinsentwicklung der historischen Äquivalente eines „Sicheren Hafens“ an- sieht. Dazu gehörten damals wie heute Staatsanleihen, im historischen Kontext aber eher solche italienischer Stadtstaaten. Große Länder wie Spanien waren damals schon eher ausfallanfällig. Die damalige Großmacht ging ja allein in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts vier Mal pleite. Sieht man sich die Erträge aus sicheren Häfen an, ist es nun tatsächlich so, dass die Verzinsungen von „sicheren“ Papieren bis zum Ende des 15. Jahrhunderts anstiegen ( siehe Chart „Sichere Häfen trocknen aus“), ab dann aber über 500 Jahre hinweg einen stetigen Verfall verzeichnen und bis in die Gegenwart Richtung null tendieren. „Die aktuellen Niveaus sollten also bei Wei- tem keine Überraschung bereiten“, erklärt Schmelzing. „Vielmehr stellen sie die Fort- schreibung eines Trends dar“, der dazu füh- ren sollte, dass die Zinsen bei oder unter null notieren werden. „Es gibt aus histori- scher Sicht keine Hinweise darauf, dass die Zinsen wieder auf die Niveaus des 20. Jahr- hunderts steigen“, erklärt der Forscher. Ausreißer 20. Jahrhundert Wie stetig sich die Zinsen in den vergan- genen Jahrhunderten Richtung Nulllinie entwickelt haben, zeigt ein Blick auf Jahr- hundert-Durchschnittswerte: Der nominelle Zinssatz ist dabei bis auf das 20. Jahrhun- dert kontinuierlich zurückgegangen, als sich die Rate von 3,5 auf 5,0 Prozent aufbäumte, um im gegenwärtigen Jahrhundert wieder auf 3,5 Prozent zurückzufallen. Noch deut- licher wird das Bild, wenn man sich den realen Zinssatz ansieht. Hier gibt es über- haupt keine Ausreißer nach oben. Von ih- rem Höhepunkt im 15. Jahrhundert, der bei 9,1 Prozent lag, ging es stetig auf die aktuell durchschnittlich 1,3 Prozent zurück. Doch was hat es nun mit demWohlstands- verlust, ausgelöst durch fallende Zinsen, auf sich? Auch hier referenziert der Autor auf Piketty und nähert sich bei der Beschreibung der Wohlstandsentwicklung über den Term R–G, also Einkommen durch Kapitalgewinn (beziehungsweise Zinsen) minus Wachstum. Die entsprechende Kurve korreliert mit der Entwicklung der sicheren Zinskurve und „lässt darauf schließen, dass diese realen Kapitalerträge über einen langen Zeithorizont ebenfalls schrumpfen. Extrapolieren wir den Trend, so können wir davon ausgehen, dass R–G sich bald permanent in negativem Ter- ritorium aufhalten wird.“ » Die aktuellen Niveaus sollten keine Überraschung bereiten. Sie stellen die Fort- schreibung eines historischen Trends dar. « Paul Schmelzing, Harvard, in seinem Paper für die Bank of England Sichere Häfen trocknen aus Auch die Zinsen, die von historisch gesehen sicheren Häfen gezahlt wurden, sind stetig gesunken. Jahrhundert-Durchschnitt % 14. Jhdt. 15. Jhdt. 16. Jhdt. 17. Jhdt. 18. Jhdt. 19 Jhdt. 20. Jhdt. 21. Jhdt. Nomineller Zinssatz 7,3 11,2 7,8 5,4 4,1 3,5 5,0 3,5 Inflation 2,2 2,1 1,7 0,8 0,6 0,0 3,1 2,2 Realer Zinssatz 5,1 9,1 6,1 4,6 3,5 3,4 2,0 1,3 Bricht man die Zinsentwicklung auf den jeweiligen Jahrhundert-Trend herunter, wird der historisch fallende Trend noch eindrücklicher. Das gilt besonders für den realen Zinssatz. Quelle: Studie -10 -5 % 0 % 5 % 10 % 15 % 20 % realer globaler Zinssatz 2000 1950 1900 1850 1800 1750 1700 1650 1600 1550 1500 1450 1400 1350 realer Zinssatz gleitender 100-Jahres-Durchschnitt linearer Trend Jahrhundert-Durchschnitt 122 N o. 1/2020 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S : Z I NSGE S CH I CHT E

RkJQdWJsaXNoZXIy ODI5NTI=