Institutional Money, Ausgabe 1 | 2020

S pricht man sie auf das aktuelle Niedrigzinsniveau an, so ist ein Großteil der Beobachter nach wie vor der Meinung, dass es sich bei diesem Phänomen um einen histo- rischen Sonderfall handelt, der zu ökono- mischen Verwerfungen und einer mögli- cherweise gefährlichen Konzentration von Vermögen führt, aber mehr oder weniger zeitlich begrenzt ist. Nicht so Harvard-Professor Paul Schmel- zing. Er hält den Trend in Richtung Null- zins für eine unvermeidbare Entwicklung. Wie er dazu kommt, steht in seinem Wor- king Paper „Eight Centuries of Global Real Interest Rates, R–G, and the ,Suprasecular‘ Decline, 1311–2018“, das für die Bank of England erarbeitet wurde. Seine Analyse ist auch ein kaum verkappter Angriff auf Pro- ponenten der Theorie, wonach ein angeblich außergewöhnlich niedriges Zinsniveau zu ungleichen und schädlichen Einkommens- verteilungen sowie sekulärer Stagnation ge- führt hätte. Genauer ins Visier nimmt er dabei die prominente Arbeit von Thomas Piketty, die 2014 unter dem Titel „Capital in the Twenty-First Century“ erschienen ist. Diese weise „eigentümliche Sichtweisen im Hinblick auf langfristige Vermögens- und Investmenterträge auf und wie diese im Kontext zu einem weiter gefassten Einkom- menswachstum stehen“. Das Hauptproblem laut Schmelzing: „Obwohl die Proponenten solcher Theorien regelmäßig ,historische Erkenntnisse‘ ins Feld führen, (…) be- schränken sie die Diskussion oft auf die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Meist ziehen sie die Hochinflations-Jahre der 1970er- und frühen 1980er-Jahre als Aus- gangspunkt für das Sinken der Zinsen her- an.“ Das ist aus Sicht des Harvard-Mannes der Bezeichnung „historisch“ keinesfalls würdig. Zwischen den Zeilen wirft Schmel- zing seinen Kollegen also eine gewisse Be- quemlichkeit vor und will offensichtlich zei- gen, dass es auch anders geht. Demzufolge beschäftigt er sich nicht mit dem 20. Jahr- Der Trend zum Null- und Negativzins stellt möglicherweise keine Abnormalität dar, sondern eine historische Notwendigkeit und könnte die privaten Haushalte in Zukunft weniger beeindrucken, als bislang gedacht wurde. Kredite, die Geschichte machten Eine siebenhundertjährige Geschichte dokumentierter individueller Darlehensvergaben Die Archivarbeit von Paul Schmelzing ist beeindruckend und lässt uns die Zinsgeschichte nahezu plastisch erfahren. Der Individualkredit an Edward III. geht ebenso in die Untersuchung ein wie ein Rothschild-Darlehen an den Vatikan. Quelle: Studie -5 % 0 % 5 % 10 % 15 % 20 % 35 % 30 % 25 % nomineller Zinssatz und daraus resultierender realer Zinstrend Spanische Krone Genua Vatikan (Ämterhandel) USA Flandern & Burgund Französische Krone Andere Mailand Österreich Englische Krone Deutsche Kaiser & Markgrafen Vatikan kurzfr. Dänische Krone reale persönliche Kreditzinsen realer Zinssatz reale persönliche Kredite Simon von Halen an Eward III.; 35 % Jährlicher Trend der realen Zinsen: – 1,96 Basispunkte Reale Zinsen 2018: 0,51 Trend-implizierter Zinssatz: 0,19 % Amadi/Rommel Kredit an König Sigismund; 18 % Karl II., Dünkirchen Verkauf und Cash-Diskont; 16 % U.S. Savings Bonds Serie EE Rothschild-Kredit an Beni dell Appannaggio (Päpstlicher Haushalt); 6 % 2000 1950 1900 1850 1800 1750 1700 1650 1600 1550 1500 1450 1400 1350 FOTO : © ACROGAME | S TOCK . ADOB E . COM » Proponenten historischer Erkenntnisse beschränken die Diskussion oft auf die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. « Paul Schmelzing, Harvard, in seinem Paper für die Bank of England Schicksalhafter Nullzins 120 N o. 1/2020 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S : Z I NSGE S CH I CHT E

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