Institutional Money, Ausgabe 4 | 2019

erst 1978 nach dem Artikel im „Wall Street Journal“, der die Geschichte wie- der erzählte? Shillers Antwort: „Einer der Gründe ist sicherlich die Servietten- geschichte, die der Theorie einen star- ken und unüblichen visuellen Reiz gab.“ Tatsächlich befindet sich die Ser- viette heute im National Museum of American History, was aber problema- tisch ist, weil Laffer später reklamierte, dass es eine solche Serviette niemals gegeben hat. Andere Faktoren, die laut Shiller ge- eignet sind, eine Geschichte viral gehen zu lassen, ist deren Berühmtheit. Er erinnert an die immer wieder erzählte Geschichte, dass ein Prominenter 1929 alle Aktien verkaufte, nachdem ihm ein Schuhputzer-Boy angeblich einen Bör- sentipp gegeben hatte. Daraus hatte der Aktionär geschlossen, dass der Höhepunkt der Börsenhausse erreicht war. Diese Geschichte wird Joseph Kennedy, dem Vater von Präsident John F. Kennedy, zugeschrieben, aber auch J.P. Morgan, John D. Rockefel- ler und vielen anderen. Solche Ge- schichten gehen dann viral, wenn sich die Leute vor einem Crash ängstigen. Wären Wissenschaftler in der Lage gewesen, diese Narrative zu beobach- ten, hätten sie möglicherweise die politisch Verantwortlichen zum Handeln auffordern oder selbst Anstrengungen unter- nehmen können, den Crash aufzuhalten. Mutierte Dauerbrenner Als Beispiel einer Story, die in leicht ver- ändertem Gewand schon mehrmals wieder- gekehrt ist, gilt das Narrativ, dass Maschinen die menschliche Arbeitskraft ersetzen und obsolet machen. Laut Shiller könne man weit in die Geschichte zurückgehen, um sol- che Bedenken zu finden. Er verweist unter anderem auf den Maschinensturm der We- ber im frühen 19. Jahrhundert, wo der Fort- schritt der Mechanik bei der Industriellen Revolution als Untergangsszenario für die menschliche Arbeitskraft betrachtet wurde. Das Narrativ tauchte dann im 20. Jahrhun- dert wieder auf, und zwar in den 30er- und 50er-Jahren. Hier sprach man von technolo- gischer Arbeitslosigkeit und der Automatisa- tion, die den Menschen im Produktionspro- zess überflüssig machen werde. Nun ist es die künstliche Intelligenz, die in den nächs- ten Jahren nicht nur die Chauffeure ihren Job kosten soll – Schlagwort „Autonomes Fahren“ – das Narrativ hat sich also wieder zu Wort gemeldet. Als Beleg führt Shiller eine Google-Auswertung an, die zeigt, wie das Narrativ „Labor Saving Machine“ seit 1800 immer wieder aufpoppt und dann das Wirtschaftsgeschehen verändert (siehe Gra- fik „Narrativ: Maschinen als Jobkiller“). Vertrauen Die Wahrnehmung des Vertrauens, das andere Leute in bestimmte Entwicklungen haben, ist ein weiterer ganz entscheidender Fakt dafür, wie es mit der wirtschaftlichen Entwicklung weitergeht. Shiller dazu: „Wenn Leute hören, dass andere Leute in Panik geraten, dann wirkt dies ansteckend und pflanzt sich fort, man denke nur an Schlagworte wie ,Financial Panic‘ oder ,Bank Runs‘.“ Die Grafik „Wiederkehren- des Narrativ: Vertrauen“ illustriert wiede- rum anhand einer Google-Auswertung, wie Schlüsselbegriffe der Finanzpanik, des Ge- schäftsklimas und des Konsumentenvertrau- ens im Lauf der Zeit verschiedene Auf- merksamkeitsniveaus erreichen. Zu unter- suchen gelte es unter anderem die Stränge, anhand derer sich ein Narrativ fortpflanzt, wie man überhaupt lernen müsse, die Spra- che eines Narrativs zu lesen. Der um keine Analogie verlegene Wissenschaftler ist auch hier mit einem Beispiel zur Hand: „Die Wirtschaftswissenschaften müssen dabei so vorgehen wie etwa ein Ornithologe, der die Sprache der Vögel studiert.“ Revolution Tatsächlich haftet Shillers Herangehens- weise etwas Revolutionäres an. Die große Zahl von heute zur Verfügung stehenden Daten – Stichwort Big Data – ermöglicht es den Wissenschaftlern, quasi live zu beob- achten, wie oft etwa bestimmte Schlüssel- begriffe in Social-Media-Kanälen aufgeru- fen werden oder wie sich die Stimmung der Konsumenten und ihr Online-Shopping- Verhalten über die Zeit verändern. Aber es » Künftig wird es vernünftige Modellierungen von Erwartungen unter Einschluss von Narrativen geben. « Dr. Robert Shiller, Nobelpreisträger und Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Yale University Der Nobelpreisträger Robert Shiller hat mit „Narrative Economics“ nach „Irrationaler Überschwang“ („Irrational Exuberance“) wohl einen neuen Beststeller verfasst. N o. 4/2019 | www.institutional-money.com 93 T H E O R I E & P R A X I S : ROBE R T SH I L L E R

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