Institutional Money, Ausgabe 4 | 2019

K ann man es sich in einer Welt, in der Trollfabriken in der Lage sein sollen, Wahl- ergebnisse in anderen Staa- ten zu beeinflussen, überhaupt noch leisten, die Macht von Narrativen, die die Wirt- schaft beeinflussen, außer Acht zu lassen? Nein, meint Yale-Professor und Wirtschafts- nobelpreisträger in seinem kürzlich erschie- nenen Buch. Darin bietet der Ökonom und Erfolgsautor einen neuen Weg an, wie man wirtschaftliche Veränderungen und Wirt- schaft generell denken sollte. Er verweist in diesem Zusammenhang auf viele histori- sche Beispiele und Daten und argumentiert, dass das Studium populärer Erzählungen, die das individuelle und kollektive wirt- schaftliche Verhalten betreffen, das Poten- zial besäßen, etwa die Qualität von Vorher- sagen zur Wirtschaftsentwicklung deutlich zu verbessern. Damit nicht genug, könnte dadurch auch die Fähigkeit wachsen, sich auf kommende finanzielle Krisen, Rezessio- nen, Depressionen und andere wichtige wirtschaftliche Ereignisse vorzubereiten re- spektive deren negative Auswirkungen zu verringern. Durch populäre Narrative kön- nen Ideen in den sozialen Netzwerken viral gehen und Märkte bewegen – man denke nur an den Glauben, dass Technologieaktien eigentlich nur steigen können (vor dem Millennium) oder dass die US-Häuserpreise niemals fallen (bis 2007) oder dass Konzer- ne schlicht und einfach zu groß sind, um pleitezugehen. Ob diese Geschichten nun wahr sind oder nicht, durch ihre Transmis- sion via Mund-zu-Mund-Propaganda, klas- sische Medien oder die neuen sozialen Medien schaffen sie es, die Wirtschaft zu bewegen. Narrative beeinflussen die Ent- scheidungen der einzelnen Wirtschaftssub- jekte etwa dahingehend, ob diese investie- ren – und wenn ja, wo und wie viel –, wie viel sie konsumieren und sparen. Obgleich solche Erzählungen offensicht- lich von Wichtigkeit für die weitere wirt- schaftliche Entwicklung sind, schenken ih- nen die meisten Wirtschaftswissenschaftler kaum Beachtung, schreibt Shiller. Als Beleg führt er an, dass eine Big-Data-Analyse zeigt, dass das Wort „Narrativ“ in den Ge- schichtswissenschaften und der Anthropolo- gie am häufigsten auftaucht, gefolgt von der Soziologie, der Psychologie und den Poli- tikwissenschaften. Die Wirtschaftswissen- schaften rangieren hier unter ferner liefen. Treibende Kraft Shiller vergleicht die Ausbreitung eines Narrativs in der Gesellschaft mit der An- steckung des Ebola-Virus 2014 in Liberia. Die Entwicklung der Ansteckungsrate sei höher als die Erholungs- beziehungsweise bei einem wirtschaftlichen Narrativ die Ver- gessensrate. Das bedeute, dass immer mehr Leute auf die Geschichte aufspringen, was zu entsprechenden Folgen führt. Shiller selbst gibt zu, dass der Vergleich weit her- geholt erscheint, aber es gebe etwas Großes, das die Weltwirtschaft treibe: „Geschichten wirken ansteckend und haben eine treibende Wirkung, wenn sie viral gehen“, so der Vor- denker in einem Video aus dem Youtube- Kanal „YaleCourses“. So hätten die Ökono- men etwa noch immer keine Erklärung für die Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09. Eine der Schlüsselfragen ist offensicht- lich, wann ein Narrativ viral geht. Ein Bei- spiel ist die Laffer Curve. Arthur Laffers Theorie der Einkommensbesteuerung be- sagt, dass es einen Wendepunkt im Ein- kommensteueraufkommen dort gibt, wo in- folge der Rebellion der Spitzenverdiener trotz Erhöhungen des Grenzsteuersatzes das Steueraufkommen sinkt. Shillers Auswer- tung mithilfe von Google Ngram zeigt, dass die Idee 1978 rasch an Popularität gewann, nachdem ein Wall-Street-Herausgeber be- schrieb, wie Laffer in einem schicken Res- taurant in Anwesenheit von Dick Cheney und Donald Rumsfeld die Kurve auf eine Serviette zeichnete. Die Theorie beeinfluss- te Ronald Reagans Steuerpolitik in seiner ersten Amtszeit stark, verpuffte aber Mitte der 80er-Jahre, da sich herausstellte, dass sie wenig faktenbasiert war. Doch die Frage, die Robert Shiller beschäftigt, bleibt: Wa- rum ging die Laffer Curve viral, und warum Robert Shiller, Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften: Sein jüngstes Buch „Narrative Economics“ widmet sich dem Einfluss von „Erzählungen“, die von ausreichend vielen Menschen geglaubt werden. Narrativ: Maschinen als Jobkiller Vom Maschinensturm der Weber bis zur Angst vor der künstlichen Intelligenz Vier Schlüsselbegriffe belegen im Zeitablauf das leicht modifiziert wiederkehrenden Narrativ, dass das Vordringen von Maschinen Arbeitsplätze kostet. *Google Ngram |**Proquest News & Newspapers | Quelle: Robert Shiller 0,00000 % 0,00001 % 0,00002 % 0,00003 % 0,00004 % 0,00005 % 0,00006 % 0,00007 % 0,00008 % 2050 2000 1950 1900 1850 1800 1750 Relative Häufigkeit der Schlüsselwörter* Relative Häufigkeit der Artikel mit Schlüsselwörtern** 0,7 % 0,8 % 0,6 % 0,5 % 0,4 % 0,3 % 0,2 % 0,1 % 0 % Künstliche Intelligenz Automation Technologiebedingte Arbeitslosigkeit Arbeitseinsparende Maschinen FOTO : © K AT HY TA R ANTOL A Die Macht der Worte 92 N o. 4/2019 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S : ROBE R T SH I L L E R

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