Institutional Money, Ausgabe 4 | 2019

Länder Schulden machen und die anderen nicht. Ich habe damals in einer Euro-Studie prognostiziert, dass Deutschland das lang- fristig finanzieren und unterstützen müssen wird. Sie spielen damit auf das Target-System an? Jens Ehrhardt: Im Grunde haben die Deut- schen das Eurosystem über Target II, das ist jetzt fast eine Billion Euro, aber auch durch direkte Garantien an Griechenland zusammengehalten. Ohne den Deutschen Billionen-Überschuss und die Unterstützung durch die EZB würde es den Euro nicht mehr geben, da bin ich ganz sicher. Trotzdem wird gefordert, dass Deutschland noch mehr machen soll. Jens Ehrhardt: Im Endeffekt müssen auch weiterhin hohe Beträge von Deutschland beigesteuert werden. Die EZB ist an einem Punkt angelangt, an dem sie nicht mehr viel machen kann. Eine Möglichkeit bestünde darin – wie auch es die Italiener machen wollen –, sich über höhere Schulden selbst aus dem Sumpf zu ziehen. Die große Frage lautet: Wird man das zulassen oder nicht? Diesbezüglich steht Deutschland internatio- nal unter Druck. Wie meinen Sie das? Jens Ehrhardt: In Gesprächen mit internatio- nalen Marktteilnehmern – etwa in Hong- kong – spüre ich den Druck. Für die dor- tigen Fondsmanager ist wichtig, dass die Weltkonjunktur wieder anspringt, aber nicht, ob die Deutschen wieder anfangen, Defizite zu machen – oder nicht. Man weiß hierzulande gar nicht, dass anderswo darauf sehr geachtet wird. Im Endeffekt ist es wahrscheinlich wirklich der entscheidende Punkt: Wenn die monetäre Stimulierung be- ziehungsweise noch tiefere Negativzinsen nicht mehr funktionieren, weil diese Waffen stumpf geworden sind, muss fiskalpolitisch stimuliert werden. Das hat Mario Draghi in seiner Abschiedsrede auch sehr deutlich gemacht: Es sei jetzt notwendig, Schulden zu machen, sonst geht vieles schief. Das heißt, ohne Stimulierung geht nichts mehr? Jens Ehrhardt: Genau. Wir haben jetzt überall Doping. In den USA gibt es ein Budgetde- fizit von fünf Prozent, das ist der höchste Wert in Friedenszeiten. In Japan haben wir schon seit 20 Jahren hohe Defizite zur Sti- mulierung der Wirtschaft. In Japan und Europa haben wir darüber hinaus Negativ- zinsen. In Deutschland wird zusätzlich über den niedrigen Euro-Wechselkurs stimuliert. Deutschland hat dadurch eine zu niedrige Währung, die zur Hälfte die Konjunktur stützt. Mittlerweile hängt die Hälfte der deutschen Wirtschaft vom Export ab – vor der Euroeinführung war es nur ein Viertel. Wir haben eigentlich überall auf der Welt entweder Schulden oder niedrige Zinsen oder Währungen, die stimulieren. Mittler- weile wurde ein Rubikon überschritten, und man kann nur mehr permanent stimulieren, damit das Ganze nicht in sich zusammen- fällt. Die gute alte österreichische Schule der Nationalökonomie, die könnte man heu- te gar nicht anwenden, weil man im selben Moment eine Rezession oder eine Deflation hätte und damit eine Wirtschaftskrise, gegen die sich wahrscheinlich sogar die Weltwirt- schaftskrise ab 1929 harmlos ausnehmen würde. Sollte sich ein derartiges internatio- nales Desaster abzeichnen, würde man alles versuchen, um es zu verhindern. Notenban- ken können sich ja unendlich verschulden und unheimlich lange Geld drucken. Wahr- scheinlich können die Notenbanken das ewig durchziehen. » Notenbanken können sich unendlich verschulden und unheimlich lange Geld drucken. « Jens Ehrhardt, Vorstandsvorsitzender von DJE Kapital A L L E F OTO S : © MA R L E N E F RÖH L I CH 60 N o. 4/2019 | www.institutional-money.com THEOR I E & PRA X I S : J ENS EHRHARDT | DJ E KAP I TAL AG

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