Institutional Money, Ausgabe 4 | 2019

Mischung aus Risiko und Unsicherheit, die bestimmt, wie gut ein mathematisches Mo- dell funktioniert. Und diese Unterscheidung wird insbesondere im Bereich der quantita- tiven finanzmathematischen Modelle oft vernachlässigt oder vergessen. Es ist sehr einfach, sich in einer falschen Sicherheit von Präzision zu wähnen, nur weil wir sehr komplexe Modelle zum Value at Risk oder zur Bepreisung von Optionen haben. Diese Komplexität gibt uns oft ein Gefühl von Vollendung und Präzision, die in Wirklich- keit nicht existieren. Denn in vielen Fällen dominiert das Ausmaß an Unsicherheit in Wahrheit über das Ausmaß an Zufälligkeit innerhalb eines gegebenen Wirtschaftssys- tems. Wir müssen also wirklich bessere Methoden entwickeln, um diese Art von Dichotomie erfassen und die Grenzen un- serer Modelle erkennen zu können. Denn genau das tun wir im Moment nicht. Was schlagen Sie vor? Andrew Lo: Wir brauchen eine neue Taxono- mie der Unsicherheit. Wir haben dazu schon vor längerer Zeit einen Vorschlag erarbeitet, in dem wir die grundlegenden Erkenntnisse von Frank Knight zu einem praktikablen Rahmen ausdehnen. Dieser mehrstufige Ansatz reicht von Systemen, bei denen es ein nur geringes Maß an Un- sicherheit gibt – die dann im Übrigen wie- der durch finanzmathematische Modelle er- fasst werden können –, bis hin zu Systemen, bei denen die Unsicherheit so groß und un- reduzierbar ist, dass es sinnlos wäre, irgend- ein quantitatives Modellen anzuwenden. Würden Sie sagen, dass die Schöpfer quan- titativer Modelle so lange daran herum- gebastelt haben, bis das jeweilige Modell realistisch genug aussah, und dabei in Kauf genommen haben, grundlegende Prämissen wie das Vorhandensein von Unsicherheit und die Möglichkeit von sich verändernden Erwartungen und Annahmen auf Seiten der Marktteilnehmer zu ignorieren? Andrew Lo: Das ist sicher eine gute Beschrei- bung, wie die quantitative Modellierung in den vergangenen zwanzig oder dreißig Jah- ren in der Finanzindustrie stattgefunden hat. Aber ich denke, sie verändert sich und wird immer ausgefeilter. Daher besteht durchaus die Hoffnung, dass die Modelle in gewisser Weise einfacher werden, wenn wir einer- seits anerkennen, dass ein wichtiges Teil in den Modellen nicht vorhanden gewesen ist, und andererseits dafür Sorge tragen, dass dieses fehlende Teil in das Puzzle eingefügt wird. Dann besteht am Ende durchaus die Möglichkeit, dass sozusagen alles Sinn er- gibt, ohne extrem seltsame Arten von Jus- tierungen zur Einbeziehung von Daten vor- nehmen zu müssen. Was genau ist dieses fehlende Teil? Andrew Lo: Aus meiner Sicht ist es die Be- rücksichtigung menschlichen Verhaltens in Reaktion auf sehr große Marktverände- rungen, wie wir sie 2008 oder 1987 erlebt haben. Das betrifft eben nicht nur die Tat- sache, dass Credit Spreads und Marktvola- tilität von koordinierten menschlichen Ak- tivitäten angetrieben werden, sondern auch dass extreme Verluste und Gewinne durch das Handeln von Menschen ausgelöst wer- den. Aber wir werden immer ausgefeilter bei der Verwendung von Daten, um solche Vorhersagen treffen zu können. Das Auf- kommen von Machine Learning und künst- licher Intelligenz ermöglicht es uns, Vorher- sagen auf einer viel breiteren ökonomischen Ebene zu treffen, als wir es jemals konnten. Deshalb besteht die Hoffnung, dass wir in die Lage versetzt werden könnten, diese Phasen koordinierten Agierens zu identifi- zieren, in denen Investoren alle nahezu gleichzeitig beschließen, den Markt zu ver- lassen oder an ihn zurückzukehren. Wir danken für das Gespräch. HANS HEUSER » Es besteht durchaus die Hoffnung, dass die Modelle in gewisser Weise einfacher werden. « Andrew Lo, MIT Laboratory for Financial Engineering A L L E F OTO S : © K AT H Y TA R A N TO L A 56 N o. 4/2019 | www.institutional-money.com THEOR I E & PRA X I S : ANDREW LO | MI T | MAS SACHUSETT S INST I TUTE OF TECHNOLOGY

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