Institutional Money, Ausgabe 4 | 2019

Sie zum Beispiel die Spieltheorie: Die Be- obachtung und Erforschung von strategi- schen Wechselwirkungen zwischen verschie- denen Wirtschaftsakteuren und deren Quan- tifizierbarkeit war natürlich ein echter Durchbruch. Auch die Arbeiten über das Allgemeine Gleichgewichtsmodell haben dazu beigetragen, ein Verständnis davon zu entwickeln, dass viele Märkte im Lauf der Zeit ausbalanciert werden müssen und dass es von Zeit zu Zeit zu solchen Gleichge- wichten kommt. Das war ein wichtiger Durchbruch. Auch die Optionspreistheorie hat unglaublich tiefe Einsichten gebracht, in- dem sie tatsächlich Raum und Zeit verbun- den hat, fast wie in einer Art Relativitäts- theorie für die Preisgestaltung von Finanz- instrumenten. All diese Ideen sind extrem wertvoll, um uns zu zeigen, wie die Finanz- märkte in rationalen Verhaltensphasen funk- tionieren. Das Problem ist, dass diese Model- le bisher unberücksichtigt gelassen haben, was in Zeiten irrationaler Verhaltensweisen passiert. Aber es ist nun einmal eine Tatsa- che, dass wir alle, jeder von uns, von Zeit zu Zeit ein irrationales Verhalten an den Tag legen. Und die wichtige Frage ist nun ein- mal, was passiert, wenn wir alle eben gleich- zeitig ein solches irrationales Verhalten an den Tag legen. Im Grunde wissen wir die Antwort, wenn wir uns an Ereignisse erin- nern, wie wir sie aus den Jahren 2008 oder 1987 oder auch 1929 kennen. Gerade des- halb ist es wichtig, ein umfassenderes Bild der Finanzmärkte zu entwickeln, statt nur die Zeiten rationaler Erwartungen zu berück- sichtigen. Die Markteffizienzhypothese hat eine unglaublich wichtige und in vielen Fäl- len sehr genaue Beschreibung der Märkte geliefert. Aber diese Beschreibung ist nicht vollständig, sie lässt unberücksichtigt, dass Märkte in Übergangsphasen mit großen Umbrüchen von einem Gleichgewicht zu einem anderen übergehen. Das heißt, wir brauchen die Erkenntnisse von Wissenschaftlern wie Richard Thaler oder Robert Shiller für ein solches Gesamt- verständnis von Märkten? Andrew Lo: Genau! Wir brauchen das Ver- haltenselement, das psychologische Element. Und ich glaube sogar, dass wir das neuro- wissenschaftliche Element wie auch das evolutionsbiologische Element in unseren Modellen brauchen. Nicht nur, um das Ver- halten in solchen anormalen Zeiten besser zu verstehen: Es ist genauso wichtig, die Marktdynamik dahinter zu verstehen, zu wissen, wie lange es dauert und warum es so lange dauert, zu einem „New Normal“ der Marktbedingungen zurückzukehren. Denn es ist wirklich die evolutionäre Dyna- mik menschlichen Verhaltens, die mit all diesen Kräften von Rationalität und Arbi- trage interagiert. Wenn man allerdings die quantitativen Ansätze vieler Ökonomen und Finanzana- lysten genau betrachtet, dann scheint die Welt der sogenannten „Quants“ mit ihren pseudophysikalischen Gesetzen oft geradezu die Möglichkeit zu ignorieren, dass Unsi- cherheit überhaupt existiert? Andrew Lo: Man sollte zunächst nicht ver- gessen, dass es ein Ökonom, nämlich Frank Knight, war, der die Unterscheidung zwi- schen Risiko und Unsicherheit überhaupt erst aufgebracht und wissenschaftlich unter- mauert hat. Aber genau damit sind wir beim Kern der Frage, warum ökonomische Mo- delle oft scheitern und warum finanzwirt- schaftliche Theorien häufig nicht funktio- nieren. Risiko ist die Art von Zufälligkeit, die sich mithilfe von Wahrscheinlichkeits- theorie und Statistik parametrisieren lässt. Unsicherheit beschreibt die sogenannten „unbekannten Unbekannten“, die mit diesen Methoden eben nicht erfasst werden kön- nen. Daher gebe ich Ihnen recht: Es ist die » Wir brauchen das Verhaltenselement. Und ich glaube sogar, dass wir das neurowissenschaft- liche Element wie auch das evolutionsbiologische Element in unseren Modellen brauchen. « Andrew Lo, MIT Laboratory for Financial Engineering A L L E F OTO S : © K AT H Y TA R A N TO L A 54 N o. 4/2019 | www.institutional-money.com THEOR I E & PRA X I S : ANDREW LO | MI T | MAS SACHUSETT S INST I TUTE OF TECHNOLOGY

RkJQdWJsaXNoZXIy ODI5NTI=