Institutional Money, Ausgabe 4 | 2019

änderungen im Ökosystem. Die Finanzkrise hat an den Kapitalmärkten zu ähnlich ein- schneidenden Veränderungen in der Finanz- welt geführt wie in der Natur der Einschlag eines Asteroiden vor rund 66 Millionen Jah- ren, als eine riesige Staubwolke das Son- nenlicht verdunkelt hat. Dieses Ereignis hat zum Absterben bestimmter Pflanzen- und Tierarten und zur Entstehung neuer Arten, darunter auch des Homo sapiens, geführt. Das ist ein Beispiel dafür, was solche gera- dezu kataklysmischen Ereignisse bewirken können. Und die Entwicklung von 2007 und 2008 hatte eine genau solche Wirkung auf Wirtschaft und Kapitalmärkte. Wenn man unser finanzielles Ökosystem als eine Art biologische Einheit betrachtet, dann kann man sehr viel darüber lernen, was sowohl vor als auch während und nach solchen einschneidenden Krisen passiert. Aber hinkt Ihr Vergleich nicht ein wenig? Veränderungen in der Natur, die mit solchen Katastrophen einhergehen, wie Sie sie beschreiben, dauern doch Tausende und Abertausende von Jahren. Andrew Lo: Das ist mir schon bewusst, des- halb trägt mein Buch über adaptive Märkte den Untertitel „Finanzielle Evolution in der Geschwindigkeit von Gedanken“. Evolution in biologischen Systemen erfolgt von einer zur nächsten Generation, manchmal braucht es mehrere Generationen, bis sich Tier- oder Pflanzenarten an neue Umstände in ihrer Umgebung angepasst haben. Was uns Men- schen vom Tier unterscheidet, das ist die Fähigkeit zu abstraktem Denken und damit einhergehend einer anderen Art der Evolu- tion. Wir müssen eben nicht mehrere Gene- rationen darauf warten, bis sich neue Ver- haltensweisen oder Überlebensstrategien als vorteilhafter durchsetzen. Beim Menschen kann sich Evolution sozusagen in Gedan- kenschnelle abspielen. Wir können gewis- sermaßen sogar mehrere Möglichkeiten gleichzeitig durchspielen, um uns am Ende für eine bestimmte zu entscheiden. Natür- lich können wir falschliegen, aber wir sind dennoch im Vorteil gegenüber einem Tier, weil wir uns erheblich schneller an verän- derte Situationen anpassen können als Tiere. Bei all Ihrer Kritik an vielen in der Wirt- schaftswissenschaft vorherrschenden Mo- dellen räumen Sie in Ihren Arbeiten ja schon ein, dass es zum Teil zu bahnbrechen- den Entwicklungen in Ihrem Wissenschafts- sektor gekommen ist. Welche sind das? Andrew Lo: Ich würde schon sagen, dass das traditionelle ökonomische Paradigma eine große Zahl von wirklich bedeutenden Er- kenntnissen hervorgebracht hat. Nehmen » Beim Menschen kann Evolution sich sozusagen in Gedankenschnelle abspielen. « Andrew Lo, MIT Laboratory for Financial Engineering Scharfsinniger Kritiker finanzmathematischer Modelle Prof. Andrew Lo ist Charles E. and Susan T. Harris Professor an der Sloan School of Manage- ment des Massachusetts Institute of Technology (MIT). Lo leitet zudem als Direktor das dem MIT angegliederte Laboratory for Financial Engineering. Er fungiert darüber hinaus als Research Associate für das National Bureau of Economic Research. Lo hat zahlreiche Artikel in Finanz- und Wirtschaftszeit- schriften veröffentlicht und mehrere Bücher verfasst, darunter als jüngstes Werk „Adaptive Markets – Finanzielle Evolution in Gedan- kengeschwindigkeit“. Er ist Mit- herausgeber des „Annual Review of Financial Economics“ und Berater des „Journal of Investment Management“ und des „Journal of Portfolio Management“. Los aktuelle Forschung umfasst eine Reihe von Forschungs- bereichen, darunter evolutionäre Modelle des Anlegerverhaltens und adaptiver Märkte, syste- mische Risiko- und Finanzregulierung, quantitative Modelle der Finanzmärk- te sowie Anwendungen von Machine Learning in Finanz- und Wirtschafts- wissenschaft. Zu seinen jüngsten Projekten gehören neben Ableitun- gen aus der Risiko- und Verlust- aversion auch neue Messmethoden von systemischen Risiken, aber auch die Entwicklung neuer statis- tischer Instrumente zur Vorhersage klinischer Studienergebnisse. A L L E F OTO S : © K AT H Y TA R A N TO L A 52 N o. 4/2019 | www.institutional-money.com THEOR I E & PRA X I S : ANDREW LO | MI T | MAS SACHUSETT S INST I TUTE OF TECHNOLOGY

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