Institutional Money, Ausgabe 4 | 2019

halb nicht, weil die Welt nicht so einfach ist. Albert Einstein hat einmal gefordert, eine Theorie müsse so einfach wie möglich formuliert sein, aber eben nicht einfacher. Unser Problem in der Ökonomie ist, dass viele unserer vermeintlichen Gesetze einfa- cher formuliert und konstruiert sind, als sie eigentlich sein müssten. Das war der Grund, weshalb ich mein Buch über adaptive Märkte geschrieben habe. Darin versuche ich zu erklären, wie man die Prinzipien der Ökologie und Evolutionsbiologie auf die Ökonomie anwenden kann. Denn am Ende gehören alle Gruppen von Individuen, die wir zu vermessen versuchen, einer Säuge- tierart an, die auf eine anspruchsvolle und komplexe, aber dennoch modellierbare Weise miteinander interagiert. Dann müssen wir einfach damit leben, dass Märkte nichts anderes als ein andauernd wiederholtes identisches Experiment sind? Andrew Lo: Lassen Sie es mich so aus- drücken: Ein Satz, der häufig – wenn auch bisher nicht belegt – Mark Twain zuge- schrieben wird, lautet: Geschichte wieder- holt sich nicht unbedingt, aber sie reimt sich. Das bedeutet, dass im Lauf der Zeit selbst bei nicht stationären Erscheinungen durchaus bedeutende Ähnlichkeiten auftre- ten, die wir erfassen können, obwohl sie nicht identisch sind. Auch wenn das tradi- tionelle frequentistische Wahrscheinlich- keitsverständnis, das die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses als die relative Häufigkeit, mit der es in einer großen Zahl gleicher und wiederholter, aber voneinander unabhängi- ger Zufallsexperimente auftritt, nicht zu- trifft, können wir diese Art von Wahrschein- lichkeitsgesetzen als Annäherung an eine viel komplexere Realität verwenden. An- ders gesagt: Wir wissen von vornherein, dass alle wirtschaftswissenschaftlichen Mo- delle im Grunde ungenau beziehungsweise falsch sind. Aber die Frage ist nicht so sehr, ob schwarz oder weiß, ob wahr oder falsch, die Frage ist vielmehr, wie gut ein Modell ist, um einer sehr viel komplexeren Realität zu entsprechen. Deshalb komme ich zu dem Schluss, dass wirtschaftswissenschaftliche oder finanzmathematische Modelle, ganz egal wie anspruchsvoll sie auch sein mögen, nur für einen kurzen Zeitraum funktionie- ren. Sie mögen für einen bestimmten Zeit- raum eine gute Approximation, eine gute Annäherung darstellen. Aber sie müssen sich dann auch wieder an die Art der zugrunde liegenden Marktveränderungen anpassen, die sich ständig vollziehen. War das der Grund, warum Sie 2010 mit dem Papier zum Physikneid eine Art Erläu- terung Ihrer Arbeit über adaptive Märkte von 2004 schreiben mussten, um Ihre Sicht- weise Marktteilnehmern näherzubringen, die diese nicht verstanden hatten? Andrew Lo: Wenn Sie so wollen, ja. Als ich 2004 zum ersten Mal über adaptive Märkte geschrieben habe, schlug mir große Skepsis entgegen. Einer der Gründe dafür war, dass die meisten meiner Kollegen aus der Wirt- schaftswissenschaft, aber auch Praktiker in der Industrie es einfach gewohnt waren, in einem bestimmten Paradigma zu denken. In den Jahren 2007 und 2008 aber kam es zur Finanzkrise, und das hat den Blick auf die- ses Paradigma wirklich verändert. Manche dachten, dass entweder das bisher verwen- dete Paradigma falsch war und wir uns in einem neuen Paradigma befinden, andere gingen davon aus, es sei kein neues Para- digma und man werde wieder zu dem vor- herigen Muster zurückkehren. Meiner Mei- nung nach hat keine von beiden Seiten recht. Wir wissen, dass die Welt sich ständig verändert. Manchmal kommt es aber zu außergewöhnlich großen seismischen Ver- » Wirtschaftswissenschaftliche oder finanz- mathematische Modelle, ganz egal wie anspruchsvoll sie auch sein mögen, funktionieren nur für einen kurzen Zeitraum. « Andrew Lo, MIT Laboratory for Financial Engineering A L L E F OTO S : © K AT H Y TA R A N TO L A 50 N o. 4/2019 | www.institutional-money.com THEOR I E & PRA X I S : ANDREW LO | MI T | MAS SACHUSETT S INST I TUTE OF TECHNOLOGY

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