Institutional Money, Ausgabe 4 | 2019

D ie finanzmathematische Theoriebildung hat sich über weite Strecken damit zufrie- dengegeben, sich auf die Erkenntnisse der sogenannten Hypothese effizienter Märkte zu stützen. Als einer der wenigen Finanzwissenschaftler hat Andrew Lo, Ökonomieprofessor am Massachusetts Institute of Technology, versucht, diese für sich betrachtet manchmal schon ein wenig festgefahren wirkende Forschungsrichtung mit den Erkenntnissen der oft als nur „wenig greifbar“ empfundenen Behavioral Finance zu versöhnen. Seine als „Hypothe- se adaptiver Märkte“ bekannt gewordenen Forschungen hat er in zahlreichen Büchern, Aufsätzen und Thesenpapieren veröffent- licht. Wir haben den Ausnahmeökonomen in seinem Büro in der MIT Sloan School of Management in Cambridge bei Boston zum Exklusivinterview besucht. Professor Lo, Sie haben bereits im Jahr 2010 einen wissenschaftlichen Aufsatz ver- öffentlicht, der – sinngemäß übersetzt – den Titel trägt: „Warnung! Neid auf die Physik kann Ihrem Vermögen gefährlich werden.“ Was genau war die Idee dahinter? Andrew Lo: Damals habe ich mich ausführ- lich mit Gegenentwürfen zum traditionellen ökonomischen Paradigma beschäftigt und versucht, ein Verständnis dafür zu ent- wickeln, woher dieses Paradigma kam. Im Grunde geht es auf den weithin bekannten Wirtschaftswissenschaftler Paul Samuelson zurück, der in vielerlei Hinsicht als Archi- tekt der modernen Volkswirtschaftslehre gilt. Samuelson hatte in seiner Doktorarbeit sehr klar dafür plädiert, die Prinzipien der Physik auf die Ökonomie anzuwenden. Vie- le Ökonomen, mich selbst eingeschlossen, sind seinem Forschungsansatz gefolgt, was sich als durchaus fruchtbar erwiesen hat, weil die Ökonomie dadurch in die Lage versetzt wurde, ähnlich einer Naturwissen- schaft eine Reihe grundlegender ökonomi- scher Modelle zu erstellen. Am Beginn sol- cher Arbeiten steht in der Regel eine Reihe mathematischer Grundsätze, aus denen dann axiomatische Schlussfolgerungen ab- geleitet werden wie zum Beispiel das Ge- setz der Schwerkraft oder Albert Einsteins Relativitätstheorie. Ökonomen waren schon immer eifersüchtig auf solche wirklich be- merkenswerten Leistungen von Physikern, die mit im Grunde relativ einfachen Regeln wie den Newton’schen Gesetzen praktische Anwendungen ermöglicht haben, mit deren Hilfe es am Ende gelang, eine Rakete von der Erde zum Mond zu schicken und auch wieder zurückzuholen. Solche bahnbre- chenden Errungenschaften sind Ökonomen in ihrem Wissenschaftsgebiet bisher nicht gelungen. Die Ökonomie ist nicht wie die Physik, lautet eine im Grunde simple Erkenntnis. Darum sind gerade Wirtschaftswissenschaftler extrem neidisch auf ihre Naturwissen- schaftskollegen. Davon jedenfalls ist unser Gesprächspartner Prof. Andrew Lo überzeugt. A L L E F OTO S : © K AT H Y TA R A N TO L A » EINE NEUE TAXONOM » Ökonomen waren schon immer eifersüchtig auf die wirklich bemer- kenswerten Leistungen von Physikern. « Andrew Lo, MIT Laboratory for Financial Engineering 46 N o. 4/2019 | www.institutional-money.com THEOR I E & PRA X I S : ANDREW LO | MI T | MAS SACHUSETT S INST I TUTE OF TECHNOLOGY

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