Institutional Money, Ausgabe 4 | 2019

BR I E F DER HERAUSGEBER 4 N o. 4/2019 | www.institutional-money.com R ay Dalios Wortmeldung vom 6. November dieses Jahres klang wenig beruhigend. Der Gründer und Mastermind des größten Hedgefonds der Welt ist der Ansicht, dass die Welt verrückt und unser System ruiniert ist. Mit System meint er den Kapitalismus und mit verrückt die Vorgangsweise der Notenbanken, ständig weiter Geld in die Märkte zu pumpen. Das billige Geld habe mittlerweile dazu ge- führt, dass zu viele unprofitable Unternehmen am Leben erhalten werden, was sich naturgemäß bremsend auf das Wachstum auswirkt. Fatal sei dies in Kombination mit dem Schul- denberg der USA. Angesichts dessen Höhe sei ein Abbau ohne Zinssteigerungen nicht vorstellbar, Zinsanstiege hät- ten aber katastrophale Folgen. Für Dalio wurde das Konzept der soliden Finanzierung über Bord geworfen. Den Teufelskreis aus tiefen Zinsen, die man nicht mehr anheben kann, beobachten wir auch in Europa seit Langem, und auch hier besteht das Dilemma darin, dass es daraus scheinbar kein Entrinnen gibt. Jedenfalls dann nicht, wenn man in altherge- brachten Bahnen denkt. Umso interessanter ist ein Vorschlag des Leipziger Wirtschaftsforschers Gunther Schnabl. Der Professor für Wirtschaftspolitik und internationale Wirtschaftsbeziehungen berät auch das unabhängige Flossbach von Storch Research Institute. In diesem Herbst stellte er ein Konzept vor, das zumindest theoretisch einen Ausweg bietet. Um zu klären, ob es grundsätzlich funktionie- ren kann, ging Schnabl gemeinsam mit Thomas Mayer, Professor an der Universität Witten/Herdecke und Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute, der Frage nach, ob die Zinsen tatsächlich aufgrund der Notenbankpolitik so niedrig sind. Dies wurde ja wiederholt mit dem Argument bestritten, dass diese nicht ursprünglich für die tiefen Zinsen verantwortlich seien. Dem- nach ist es die „säkulare Stagnation“, die wiederum primär durch zu hohe Ersparnisse einer durchschnittlich älteren Bevölkerung aus- gelöst wird, in Kombination mit einem insgesamt sinkenden Kapi- talbedarf (Firmen wie Google und Facebook benötigen für ihr Geschäftsmodell wenig Kapital), die für die ungewöhnlichen tiefen Zinsen verantwortlich sein soll. Mayer und Schnabl widersprechen dem, Ergebnisse einer umfangreichen Analyse (abrufbar unter www.flossbachvonstorch-researchinstitute.com) zeigten, dass sehr wohl die Notenbanken Auslöser der Zinsanomalie seien. Am Ende ihrer Arbeit schreiben die Wirtschaftsforscher: „Die politische Implikation besteht darin, dass nur das Ende der Zinsmanipulation das Wachstum wiederbeleben würde. Der Kreditzins ist der wich- tigste Einzelpreis in einer Volkswirtschaft.“ Wie soll das nun gehen? Schnabls Idee für einen Befreiungsschlag ist erstaunlich einfach. Unter Rücksichtnahme auf die Problematik, dass ein – quasi unge- ordneter – Zinsanstieg eine ernstzunehmende Marktkrise auslösen würde, rät er zu einer Art geordneter Rückkehr zur Normalität. Um auf den „Gleichgewichtszins“ von vier bis fünf Prozent zu kom- men, schlägt er eine Leitzinsanhebung um 0,25 Prozent pro Jahr vor, womit die Erreichung des Zielniveaus zwischen zehn und 20 Jahren in der Zukunft liegen würde. Der Ökonom geht davon aus, dass dies langsam genug wäre, allen unter Druck stehenden Staaten und Unternehmen genug Zeit zu geben, die benötigte Anpassung an höhere Zinsen vorzunehmen. Schnabl ist Realist genug, um zu wissen, dass auch eine solche Botschaft die Märkte kurzfristig in Panik versetzen würde, der längerfristig positive Ausblick sollte das aber ausgleichen. Sein Kollege Mayer glaubt zwar, dass Schnabls Idee tatsächlich funktionieren könnte, er bezweifelt jedoch, dass die Politik das Konzept aufgreifen wird. Er fürchtet, dass erst ein stärkerer Schock, voraussichtlich ausgelöst durch eine neuerliche Finanzkrise infolge einer globalen Rezes- sion, den nötigen Druck er- zeugen wird, um dann dafür wesentlich radikaleren Maß- nahmen den Weg zu ebnen – bis hin zu einem vollständigen Systemwechsel etwa in Ge- stalt eines Umstiegs auf digi- tales „Vollgeld“. Die Diskus- sion über eine Kryptowährung von Facebook zeigt, dass wir uns möglicherweise schon in der frühen Phase einer bevorstehenden Wende befinden. Wir laden Sie an dieser Stelle wie gewohnt ein, den Institutional Money Kongress zu besuchen, der am 25. und 26. März 2020 in Wiesbaden stattfinden wird. Es wird im ersten Quartal keine bes- sere Gelegenheit geben, um mit Experten und Kollegen über die Weltwirtschaft und die Finanzmärkte zu diskutieren. Bis dahin wün- schen wir Ihnen einen angenehmen Jahreswechsel. Lösungsvorschlag für das Zins-Dilemma Gerhard Führing Mamdouh El-Morsi Gerhard Führing Mamdouh El-Morsi

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