Institutional Money, Ausgabe 4 | 2019

für die Normalverteilungsannahme gilt. „Dieser vermeintliche Widerspruch ist kei- ner“, so Berghorn. Als Erklärung führt der Mathematiker den zentralen Grenzwertsatz in der Statistik an, der durch Mischen von unabhängigen Renditestrukturen (zu unterschiedlichen Zeitskalen) zu einer schnellen Konvergenz auf Normalver- teilung führt. „Damit muss man die Verdienste von Benoît Mandelbrot entsprechend würdi- gen“, so Berghorn. Zeit integriert – also über alle Zeitskalen – in die Analyse einfließen zu lassen, kann als erhebli- cher Paradigmenwechsel aufgefasst werden. Diese Methodik erlaubte nicht nur die Definition von fraktalen Objekten, sie ist offenbar auch für ein besseres Markt- verständnis – auch vor dem Hintergrund der schwerwiegenden Anomalien – Grundvor- aussetzung. „Dieses Loslösen von der Be- trachtung einer isolierten Zeitskala, wie in der klassischen Finanzmathematik z. B. auf Basis von Monatsdaten üblich, reicht bei Trendeffekten wie Momentum schon aus, um diese besser zu verstehen“, so Berghorn. „Allerdings geht es noch nicht weit genug“, wie jetzt auf der Faktorebene gezeigt wur- de. „Es bedarf dann nochmals harter signal- theoretischer Methoden, um weitere Klar- heit zu schaffen“, so Berghorn. Wie klar, das zeigt sich insbesondere beim Maß Trendlängen: „Höchstens im Grenzfall bei kurzfristiger Betrachtung können Märkte als effizient angenommen werden, langfristig sind sie es nicht“, sagt Berghorn. Damit er- klärt der Mathematiker auch den fast schon historischen Diskurs zwischen Eugene Fama und Robert Shiller. Es ist eine Frage der gewählten Zeitskala, mit der man Markteffekte analysiert. DR. KURT BECKER Effizient oder nicht effizient? Sieben Jahrzehnte der Suche Von Markowitz bis Mandelbrot A nfang der 50er-Jahre war die Welt noch unkompliziert: Harry Markowitz benötigte für seine effizienten Port- folios nur die Renditeerwartung von Aktien und die Kovarianzen. Mit diesem Konzept ließ sich dann das Capital Asset Pricing Model (CAPM) umsetzen, das jeder Aktie eine Sensitivität zum nicht diversifizierbaren Marktrisiko (Beta) zuordnete. Entlang die- ser Theorie wurden Märkte als „effizient“ angenommen. Im Verlauf der Zeit stellte sich allerdings heraus, dass dieser Ansatz zu kurz griff. So zeigte sich, dass die sys- tematische Investition in unterbewertete Unternehmen (Value) oder in Small Caps (Size) Überrenditen erlaubte. Es wurde argumentiert, dass spezifische Bilanz- und Ausfallsrisiken durch eine Prämie abgegol- ten werden, die sich dann in einem lang- fristigen Mehrertrag niederschlägt. Das Drei-Faktor-Modell war geboren, in dem eine Marktrendite von den Risikofaktoren Beta, „Value“ und „Size“ abhängt. So weit, so gut. Erste Risse bekommt dieses Bild der Risi- kokompensation schon in den frühen 70er-Jahren. Erstaunlich robuste Konzepte wie etwa das über Jahrzehnte nachgewie- sene „Low Vol“-Konzept dürften eigentlich nicht funktionieren, denn laut klassischen Annahmen sollte ein Mehrertrag gegen- über dem Markt nur bei Eingehen eines höheren Risikos möglich sein. Dabei zeigt die Praxis das genaue Gegenteil: Niedrig volatile Aktien schlagen auf mittlere und lange Sicht wesentlich volatilere Titel risiko- adjustiert und hinsichtlich des maximalen Drawdowns. So richtig in Fahrt kam der „Faktorzoo“ mit der Analyse des Momentum-Faktors. Seit Jegadeesh und Titman 1993 „Returns to Buying Winners and Selling Losers: Implications for Stock Market Efficiency“ im „Journal of Finance“ publizierten und da- mit den Momentum-Faktor erstmals wis- senschaftlich dokumentierten, gehört die- ser neben den gezeigten Value- und Small-Cap-Faktoren zu den Säulen des Factor Investings. Momentum stellte sich unter den klassischen Faktoren als stärkster Outperformancelieferant heraus. AQR Capital Management gelang sogar der Nachweis seiner Existenz bis ins Viktoria- nische Zeitalter, konkret bis 1801 zurück. Und das steht im Widerspruch zur Theorie der „effizienten Märkte“, die postuliert, dass die Rendite sich unabhängig von der Vergangenheit entwickelt. Wer glaubt, dass dies nicht weiter auf die Spitze zu treiben ist, sollte durchaus zur Kenntnis nehmen, dass heutzutage weit über 400 Faktor- ansätze existieren. In dieser Diskussion ver- öffentlicht AQR Capital Management dann auch noch ein Research Paper („Factor Momentum Everywhere“), in dem ausge- hend von 65 Faktoransätzen gezeigt wird, dass die Performance jedes Faktors aus dem vergangenen Monat einen wichtigen „Prädiktor“ (Variable mit Prognosewert) darstellt. » Bei Momentum handelt es sich um eine der meistausgenutzten Anomalien der Kapitalmärkte. « Dr. Sascha Otto, Leiter Wertpapier- und Portfoliomanagement bei der Sparkasse Bremen Seit Harry M. Markowitz 1952 die Portfoliotheorie entwickelte, steht die Frage nach der Effizienz der Märkte im Raum. FOTO : © S PA R K A S S E B R EMEN; GE T T Y I MAGE S 114 N o. 4/2019 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S : MANDE L BROT-T R ENDS

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