Institutional Money, Ausgabe 2 | 2019

nicht mehr in die Value-Definition von MSCI geschafft. MSCI ist kein Einzelfall Auffälliges hat Scientific Beta auch bei der Indexmethodologie der fundamental ge- wichteten Indizes von Research Affiliates (RAFI Indizes) gefunden. Diese wurden erstmals 2005 als FTS-RAFI-Index-Reihe lanciert, hier werden die Aktien anhand eines Composite Scores gewichtet, der sich aus Umsätzen, Cashflows, Buchwert und Dividenden ableitet. 2011 wurde dann eine zweite Indexserie ins Leben gerufen, die Russell RAFI heißt. Während es keinen Un- terschied in der Zielsetzung der Indizes gibt, sind die Value messenden Variablen jedoch unterschiedlich. Russell RAFI stellt nämlich auf Umsätze, Cashflows und Dividenden ab. Der Buchwert bleibt hier unberücksich- tigt. Zusätzlich werden bei der Russell- RAFI-Methodologie zu den Dividenden noch die Aktienrückkäufe hinzugerechnet, und bei den Umsätzen wird eine Korrektur um den Leverage vorgenommen. Damit will man offensichtlich mit der zweiten Indexserie nach der Finanzkrise verhindern, dass Firmen mit hohem Leverage im Value Index übergewichtet sind. Das lässt den Schluss zu, dass sich die Definition von Va- lue und der Fundamentaldaten der Unter- nehmen dynamisch entwickelt und vor so- wie nach der Finanzkrise anders gesehen wird. Die Entscheidung, Leverage-Anpas- sungen vorzunehmen, hat übrigens große Auswirkungen auf die Performance der fun- damental gewichteten Indizes während der Finanzkrise. Das hat Professor Noël Amenc 2015 in „Robustness of Smart Beta Strategies“ nachgewiesen, wo verschiedene Regeln der Levera- ge-Anpassung zu Renditediffe- renzen im Jahr 2008 von neun Prozent führten. Um ein Gefühl dafür zu erhal- ten, wie sich oftmalige Faktor- definitionswechsel auf die Per- formance von Value auswirken können, hat das Autorenquartett folgenden Test durchgeführt: Man nehme verschiedene Value- Definitionen, wobei das Varia- blenset aus den üblicherweise in der Praxis herangezogenen Kenngrößen wie Kurs-Gewinn- Verhältnis, Kurs-Cashflow-Verhältnis, Kurs- Umsatz-Verhältnis, Dividendenrendite und Kurs zu Pay-out gebildet wird. Neben ei- nem einheitlichen Scoring ist auch ein sek- torbezogenes Scoring-Modell als Option zu- lässig. Sodann hat man über ein fünfjähri- ges Zeitfenster die erfolgversprechendsten Variablen und deren Kombinationen anhand ihrer In-sample-Performance herausgegrif- fen und diese Strategie in der Simulations- rechnung für fünf Jahre durchgehalten. Die Ergebnisse dieses „Enhanced“-Ansatzes hat man dann mit der Performance eines ganz traditionellen Value-Faktor-Ansatzes vergli- chen, der rein auf das Kurs-Buchwert-Ver- hältnis abstellt. Die Enhanced-Faktorindi- zes, die nichts anderes als die In-sample- Gewinnerstrategien darstellen, können in den fünf Jahren des Berechnungszeitraums die Kurs-Buchwert-Variante um 1,79 Pro- zent schlagen. Allerdings bleiben diese En- hanced-Varianten in den folgenden fünf (Out-of-sample-)Jahren gegenüber Kurs- Buchwert kumulativ um 2,72 Prozent zu- rück. Diesen Zusammenhang veranschau- licht die Grafik „In-sample top, out-of-sam- ple flop“. Schließlich macht die Performan- cedifferenz der Enhanced-Strategien zwi- schen der In-sample-Periode und der Out- of-sample-Periode 4,5 Prozent aus. Ein In- sample-Backtest überschätzt also die tat- sächlich zu erwartende Live-Performance einer „getunten“ Value-Strategie substan- ziell. Das Fischen nach der besten Faktor- definition inflationiert also die Backtest-Per- formance und weckt hohe, unerfüllbare Hoffnungen. Die Autoren schätzen das Data-Mining- Risiko in der Praxis noch höher ein als in den gezeigten Beispielen. So ist in der Pra- xis zu beobachten, dass Faktordefinitionen oft Kombinationen mehrerer Variablen sind. Novy-Marx etwa hat 2015 in seinem NBER Working Paper mit dem Titel „Backtesting Strategies based on Multiple Signals“ argu- mentiert, dass die Verwendung von zusam- mengesetzten Variablen beim Designen und Testen faktorbasierter Strategien das Data- Mining-Risiko exponentiell erhöht. Teuflische Portfoliokonstruktion Ein Beispiel hierfür ist die steigende Popularität von Bottom-up-Ansätzen beim Multi-Faktor-Investing. Im Gegensatz zum Top-down-Ansatz, wo Multi-Faktor-Portfo- lios durch die Zusammenführung von sepa- rat durchgeführten Rechnungen für jeden einzelnen Faktor gebildet werden, werden hier in einem einzigen Schritt Aktien aus- gewählt und/oder gewichtet mittels einer Composite-Messgröße eines Multi-Faktor- Exposures. Beide Methoden versuchen, die Prämien im Zusammenhang mit mehreren Faktoren zu ernten, doch treten hier große Differenzen auf. Bottom-up-Ansätze versu- chen, das Faktor-Exposure in seiner Ge- samtheit zu vergrößern, indem sie auch klei- ne Unterschiede in den Composite-Exposu- res berücksichtigen. Dem zugrunde liegt die Überzeugung, dass es eine deterministische Verbindung zwischen Faktor-Exposures und Aktienrenditen gibt. Im Gegensatz dazu set- zen Top-down-Ansätze vorrangig auf Port- foliodiversifikation und nicht auf Präzision beim Engineering von Faktor-Exposures. Diesem An- satz liegt die These zugrunde, dass die erwarteten Renditen auf Einzelaktienebene von starkem Rauschen begleitet sind und der Zusammenhang zwischen Fak- tor-Exposure und Rendite nur im Allgemeinen gilt. Eine Ände- rung vom Top-down- zum Bot- tom-up-Ansatz bei der Portfolio- konstruktion scheint daher im Widerspruch zu einem langfristi- gen Investmentansatz zu stehen. Die gleichen Researchteams des Indexanbieters MSCI verfolgten ursprünglich einen Top-down- Ansatz als Teil der Lancierung der Quality Mix (QMX) Indizes, In-sample top, out-of-sample flop Vergleich kumulierter relativer Renditen von Enhanced-Value-Strategien zum klassischen Ansatz In-sample-Optimierungen von Value-Faktorindizes über fünf Jahre zeigen eine Outperformance gegenüber einer klassischen Value-Strategie, die nur auf das Kurs-Buchwert-Verhältnis abstellt. In den (Out-of-sample-)Folgejahren underperformen die Enhanced-Strategien dann aber deutlich. Der relative Performanceunterschied macht zwischen Umsetzung und fünf Jahren danach kumuliert 4,5 Prozent aus. Quelle: Scientific Beta -3 % -2 % -1 % 0 % 1 % 2 % -5 5 -4 4 -3 3 -2 2 -1 Forma- tion 1 kumulierte Überschussrendite gegenüber Kurs-Buchwert Jahre Pre-Formation Post-Formation Q 96 N o. 2/2019 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S : FAK TOR- I NVE S T I NG

RkJQdWJsaXNoZXIy ODI5NTI=