Institutional Money, Ausgabe 2 | 2019

Kaleckis Gewinnformel auf Makroebene. Der polnische Ökonom, ein weniger be- kannter Zeitgenosse Keynes’, hat einige sei- ner relevanten Ideen vorweggenommen. Er entwickelte in dem nach ihm benannten Modell eine auf Makroebene erstellte Glei- chung für die kumulierten Unternehmens- gewinne einer Volkswirtschaft. Einer der Kernsätze der im Jahr 1935 veröffentlichten Arbeit lautet: „Nun ist aber einer der Haupt- züge des kapitalistischen Systems in der Tatsache zu sehen, dass das, was zum Vor- teil eines einzelnen Unternehmens aus- schlägt, nicht unbedingt von Vorteil ist für alle Unternehmer als eine Klasse. Wenn ein Unternehmer die Löhne senkt, dann ist er ceteris paribus imstande, auch die Produk- tion auszudehnen; wenn aber alle Unterneh- mer dasselbe tun, so fällt das Ergebnis ganz anders aus.“ Sektorweite Lohnsenkungen oder Reduzierungen der Belegschaft führen demnach zu geringerer Nachfrage und so- mit zukünftig zu potenziell niedrigeren Ge- winnen für alle. Demzufolge kann ein nied- riges kumuliertes KGV ein Zeichen für ei- nen Abschwung und somit ein Signal für zukünftig indexweit fallende Kurse sein. Einfluss des Staates Auch die staatlichen Investitionen und die damit zusammenhängende staatliche Verschuldung werden im klassischen Kurs- Gewinn-Verhältnis nicht berücksichtigt, in Kaleckis Modell hingegen schon. Hier gilt die Annahme, dass der Staat außergewöhn- liche Investitionen – vulgo Konjunkturpro- gramme – in Zukunft wieder einstellt, was sich in den Gewinnprojektionen wiederum negativ auswirken sollte. Denkt man diesen Makroansatz weiter, wäre ein Gesamtmarkt-KGV nur dann sinn- voll, wenn man das BIP berücksich- tigt. Da die Gewinne für Jones in einem Makro-Zusammenhang nicht die gewünschte Prognosekraft auf- weisen, verzichtet er in der Wahl sei- nes Tools komplett auf den durch- gerechneten Gesamtgewinn eines Index, ersetzt diesen durch das Brut- toinlandsprodukt, den Kurs durch den kumulierten Marktwert und lan- det so bei Buffetts MV/GDP. Jones geht aber einen Schritt weiter und verfeinert das Modell, indem er es um die Makrofaktoren Demografie, private Einkommen, privaten Kon- sum und die BIP-Veränderung der vergan- genen zehn Jahre erweitert. Hieraus leitet sich die bereits erwähnte neue Prognose- kennzahl DAMA ab. Demografisches Argument „Der demografische Aspekt ist in der Erweiterung des Modells aber sicher das mächtigste Element“, erklärt Jones weiter. Demnach hätten „und haben die Babyboo- mer einen starken Einfluss auf die US-Wirt- schaft. Wahrscheinlich hatte ihre Ertrags- und Investitionskraft zu Beginn des 21. Jahr- hunderts ihren Höhepunkt“. Er schließt sich in seiner Argumentation der Denkschule an, die davon ausgeht, „dass demografische Kräfte die wirtschaftliche Dynamik sowie die Entwicklung an den Aktienmärkten in den vergangenen 100 Jahren stimuliert ha- ben. Im Gegensatz dazu wird von Seiten der Demografie in den kommenden 50 Jahren Gegenwind auf uns zukommen.“ Jones bezieht sich in seiner Argumenta- tion auf die im Jahr 2011 erschienene Arbeit von Zheng Liu und Mark M. Spiegel, beide von der Federal Reserve Bank of San Fran- cisco, mit dem Titel „Boomer Retirement: Headwinds for the U.S. Equity Market?“. Die beiden Ökonomen haben im Economic Letter der Reserve Bank eine demografi- sche Kennzahl entwickelt, die die Zahl der 40- bis 49-Jährigen durch die der 60- bis 69-Jährigen dividiert. Genau dieses Verhält- nis berücksichtigt auch Jones in seiner DAMA-Kennzahl, und er erhält nach Be- rücksichtigung der erwähnten privaten Ein- kommen sowie der BIP-Veränderung eine Prognosekennzahl, die für die nächsten zehn Jahre extrem pessimistisch ist und gleichzeitig eine hohe statistische Relevanz aufweist. Das Jones’sche Modell wirkt auf den ers- ten Blick schlüssig. Dass die Überalterung der Gesellschaft negative Effekte haben wird, gilt als Common Sense. Doch ist das wirk- lich so? Gerade das aktuelle Nobelpreis-Jahr, aus dem unter anderem Paul Romer als Preisträger hervorgegangen ist, lässt Skepsis an dieser These aufkommen. Denn der Öko- nom, der auf dem vergangenen Institutional Money Kongress als Starredner auftrat, be- streitet diesen Zusammenhang. Für ihn hängt die Wirtschaftsentwicklung viel mehr vom Urbanisierungsgrad und technischer Innova- tion ab, also von der reinen Bevölkerungs- entwicklung. Jones weist selbst darauf hin, dass die Prognosetools – auch sein eigenes – die Kursentwicklung der letzten zehn Jahre durchaus unterschätzt haben. „Ich glaube, dass der finanzielle Stimulus der vergange- nen zehn Jahre zu einem guten Teil für dieses Überschießen verantwortlich ist.“ Um die- sem Verdacht nachzugehen, hat Romer „eine schnelle und grobe“ Schätzung der US-Sti- muli auf Basis der Veränderung der Geld- menge, der Inflation und der Leitzinsen an- gestellt (siehe Chart unten) . Laut Berechnun- gen erklärt der Fed-Stimulus „rund 39 Pro- zent der Abweichungen, die zwischen Pro- gnose und Marktgeschehen eingetreten sind“. Paradoxe Hoffnung Letzten Endes weisen aber alle erwähnten Kennzahlen, sei es Tobin’s Q, Shiller-KGV, MV/GDP oder eben DAMA, darauf hin, dass der US-Markt die nächsten zehn Jahre weniger erquicklich sein wird als im vergangenen Jahrzehnt. Paradoxer- weise muss man hoffen, dass diese pessimistischen Prognosen – in mög- lichst milder Form – tatsächlich ein- treten. Das hat nichts mit Masochis- mus zu tun, sondern mit dem Schluss, den man ziehen müsste, wenn die Erwartungen weit daneben liegen: Das bedeutete nämlich, dass diese Prognosemethoden schlicht nicht funktionieren, die Finanzwis- schenschaft also keine Ahnung hat, wie der Markt funktioniert – und was die Unkenntnis von Marktmechanis- men nach sich ziehen kann, haben wir in diesem Jahrtausend schon ein- mal erleben müssen. HANS WEITMAYR Zu pessimistisch oder doch verzerrt? Zuletzt haben die DAMA-Prognosen die Marktentwicklung unterschätzt. Legt man den Stimulus-Faktor der US-Notenbank Federal Reserve über die Prognoseunschärfen der DAMA-Prognose, wird schnell ein relativ eindeutiger Zusammenhang deutlich. Quelle: Stephen Jones 1970 2000 1990 2010 1980 -8 -6 -4 -2 0 2 4 6 8 n Stimulus-Faktor n S&P vs. DAMA-Prognose J 88 N o. 2/2019 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S : MARK T BEWE R TUNG

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