Institutional Money, Ausgabe 2 | 2019

Kapitalmarkt und QE-Käufen durch die BoJ führt zu demselben Ergebnis wie eine direk- te Finanzierung der Staatsdefizite durch die Notenbank, wie sie die Anhänger der Mo- dern Monetary Theory vertreten. Die LM- Kurve verschiebt sich in der Folge nach unten“, stellt Bofinger fest. MMT-Finanzierung kann auch im Zu- sammenhang mit einer horizontal verlaufen- den LM-Kurve betrachtet werden, so Bofin- ger weiter. Das impliziere, dass die Zentral- bank ein Zielniveau des Zinssatzes ansteue- re. In diesem Fall habe die Zentralbank die Auswirkung der Erhöhung der Geldmenge und der monetären Basis durch die MMT- Finanzierung zu sterilisieren. Dies erfolge durch den Verkauf von Anleihen an Nicht- banken, was man als „Reverse Quantitative Easing“ bezeichnen könne. Mit einer sol- chen Politik würde man das Crowding-out von privaten Investitionen verhindern. Vertrauensbeweis Wie bei jeder Therapie ist es auch bei MMT: Es kommt auf die Diagnose und die Intensität an. „Das Beispiel Japan macht deutlich, dass eine solche Politik notenbank- finanzierter Defizite auch mit einer ziemlich hohen Dosis durchgeführt werden kann, ohne Inflation auszulösen. Japan befindet sich noch immer in einem deflationären Umfeld. Außerdem gab es niemals einen Hinweis darauf, dass die hohe Staatsver- schuldung mit einem Vertrauensverlust internationaler Investoren in den Yen ein- hergegangen wäre. Eher das Gegenteil war der Fall: Der Wechselkurs des Yen war die meiste Zeit über eher zu stark als zu schwach“, erklärt Bofinger. Im Wesentlichen unter- scheidet sich MMT von der in Japan seit Jahren ange- wandten makroökonomi- schen Politik nur dadurch, dass MMT für die Verknüp- fung einer expansiven Geld- und Fiskalpolitik sorgt. In Japan werden diese beiden Politiken getrennt, obgleich in koordinierter Art und Wei- se durchgeführt. Aggressive Kritiker Erstaunlicherweise haben führende Volkswirte sehr ag- gressiv auf das MMT-Konzept reagiert. Starökonom Kenneth Rogoff sprach von großem Nonsens und zitierte Fed-Chef Jerome Powell mit den Worten „Die Idee, dass Defizite von Staaten, die sich in der eigenen Währung verschulden, nichts aus- machen, ist meiner Ansicht nach falsch“, und er fügte hinzu, dass die Idee einfach nur verrückt sei. Bofinger sieht das differenzierter und erklärt: „Speziell in den Jahren 2009 bis 2012 sind Japan, Großbritannien und die USA sehr hohe Defizite eingegangen, die ihnen offensichtlich nicht geschadet haben. Mit den Anleihenankäufen von Nichtban- ken haben die Zentralbanken dieser Staaten parallel die Ausweitung der Geldmenge be- trieben, durch die Zinssätze auf sehr niedri- gem Niveau blieben.“ (Siehe auch Grafik „Entwicklung der Haushaltssalden“.) Wie sein Modell zeige, sei die Verschiebung der LM-Kurve ausschlaggebend dafür, dass eine expansive Fiskalpolitik tatsächlich niedrigere statt höhere Zinssätze auslösen kann. Das Modell zeigt auch, dass es nicht notwendigerweise einen Abtausch zwischen Geld- und Fiskalpolitik geben muss, da bei- de Kurven unabhängig voneinander ver- schoben werden können. Rezept für ein Desaster Doch nicht nur Rogoff, auch Larry Sum- mers bezeichnete MMT als „Rezept für ein Desaster“. Der ehemalige US-Finanzminis- ter und Präsidentenberater erinnerte an die schlechten Erfahrungen der Schwellenlän- derökonomien. Für diese habe der Ansatz nach einem gewissen Punkt zu Hyperinfla- tion geführt. Man darf natürlich nicht ver- gessen, dass das Deficit-Spending-Konzept der MMT nur auf sehr große Volkswirt- schaften mit einem flexiblen Währungsre- gime anwendbar ist, sagt Bofinger. „Sum- mers erwähnte auch die Probleme Italiens und Großbritanniens in den 70er-Jahren. Diese Länder vergrößerten ihre Defizite zu einer Zeit, als ihre Inflationsraten bereits sehr hoch waren – elf Prozent in Italien und neun Prozent in UK im Jahr 1973. MMT sollte nur angewendet werden, wenn es ein Niedriginflationsumfeld gibt.“ Heute gilt China neben Japan als das Land, das MMT-Deficit-Spending höchst wirksam umsetzt. Wenn man neben dem offiziellen Budgetdefizit noch das der Pro- vinzregierungen miteinbezieht (siehe Grafik „Chinas Budgetabgänge“) , weist das Land seit Jahren einen Abgang von mehr als zehn Prozent des BIP auf. Bis dato gibt es noch keinen Hinweis darauf, dass China diese Entwicklung Sorgen bereiten müsste. Große Sorgfalt notwendig Laut Bofinger müssen sich sowohl Kriti- ker als auch Befürworter auf zwei Punkte verständigen. Erstens sollte man sich an der Grundidee der Functional Finance, wie sie Abba Lerner vertritt, orientieren. Demnach müsse die Fiskalpolitik der Regierung im- mer mit Blick auf die Resultate in der Wirt- schaft durchgeführt werden. Ausgaben, ihre Steuerpolitik, Mittelaufnahme und -rück- zahlung sowie die Ausweitung und Verrin- gerung der Geldmenge dürfen also nicht irgendeiner etablierten Doktrin folgen, die vorgibt, was solide oder unsolide ist. Das Prinzip, eine Beurteilung an- hand von Ergebnissen vorzu- nehmen, ist auf dem Gebiet der Naturwissenschaften an- erkannt. Scholastizismus ist hingegen fehl am Platz. Zweitens sollten sich laut Bofinger beide Seiten darauf verständigen, dass die Kom- bination von expansiver Fis- kal- und Geldpolitik ein sehr wirkungsvolles Instrument ist, das man aber unter großer Sorgfalt und nur einsetzen sollte, wenn es wirklich be- nötigt wird. Denn die Dosis macht das Gift. DR. KURT BECKER Chinas Haushaltssalden Offizielle versus tatsächliche Budgetsalden in China seit 2013 Wie leicht zu erkennen ist, stellen die offiziellen Budgetdefizite Chinas nur einen kleinen Teil der Wahrheit dar. Die Abgänge der Regionalregierungen sorgen dafür, dass seit 2013 das jährliche Defizit bei mehr als zehn Prozent des BIP liegt. Quelle: socialeurope.eu ; IMF: Country Report China 2018 -12 % -10 % -8 % -6 % -4 % -2 % 0 % 2019 2018 2017 2016 2015 2014 2013 Budgetsalden in % des BIP Prognose -7,6 % -2,1 % -10,9 % -2,7 % Tatsächliche Budgetsalden Offizielle Budgetsalden 84 N o. 2/2019 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S : MODE RN MONE TAR Y THEOR Y

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