Institutional Money, Ausgabe 2 | 2019

dieses Ziel lässt sich auch mit monetären Anreizen erreichen. Die bestehenden Wech- selwirkungen blendet die MMT unbeküm- mert aus.“ Je stärker die Geldpolitik gelockert wird, desto weniger hoch fällt das Fiskaldefizit aus, das für den Aufschwung erforderlich ist. Natürlich könne es Zeiten geben, in de- nen die Geldpolitik geringere bis fast keine Wirkung erzeuge. Der Fall stelle sich dann ein, wenn sich die Konjunktur in einer klas- sischen Liquiditätsfalle mit Zinsen an der Nulllinie befindet. Dann müsse die Fiskal- politik in die Bresche springen. Aber diese extremen Bedingungen seien weit von der Norm der MMT entfernt. In der Vergangenheit habe die Geldpolitik jedenfalls fast immer Wirkung gezeigt – so- gar in der Zeit nach der Finanzkrise und der Großen Rezession konnte die Fed den Auf- schwung unterstützen. Im Gegensatz dazu seien fiskalische Anreize laut Feinman nur selten oder nie die einzige Option. „Es gibt immer die Wahl zwischen monetären und fiskalischen Maßnahmen – oder einer Kom- bination aus beiden.“ Doch einmal mehr gelte es, besagte und von der MMT ignorier- te Wechselwirkungen zu bedenken. Denn fis- kale Defizite verdrängen private Investitio- nen, treiben die Zinsen nach oben und ma- chen so einen Teil der gestiegenen Nachfrage zunichte. Je mehr private Investitionen verdrängt werden, des- to geringer ist die Wirkung fiskali- scher Anreize und desto mehr muss die Geldpolitik tun, um die Nachfra- ge anzukurbeln. Diese Verdrängung kann mehr oder weniger stark ausge- prägt sein und hängt davon ab, wie stark die Spar- und Investitionsnei- gung ist und wie hoch die Zinselasti- zität ausfällt. „Diesen Verdrängungs- wettbewerb kategorisch zu leugnen oder ihn als allenfalls nebensächliche Überlegung abzutun, würde bedeu- ten, bewährte ökonomische Argu- mente und Nachweise in Frage zu stellen“, gibt Feinman zu bedenken. Er stößt sich auch an der These, dass Fiskaldefizite die Zinsen nicht nur nicht unter Aufwärtsruck bräch- ten, sondern sie sogar drücken könn- ten. Defizitfinanzierung als Ursache von niedrigen Zinsen? Wie soll das funktionieren? Feinman: „Hier wird die exakte Trennung zwischen Fis- kal- und Geldpolitik aufgegeben.“ Auseinandergesetzt mit der MMT hat sich auch Manfred Hüfner, Chefökonom der Investmentboutique Assenagon. Er sieht die Stärke von MMT darin, dass sie Er- kenntnisse, die als unverrückbar gelten, in Zweifel zieht und die Ökonomenzunft zwingt, Positionen zu überdenken. Hüfner sieht aber auch deutliche Schwächen der MMT: „Die Dynamik des Privatsektors als wichtigster Wachstumsmotor kommt in dem Modell nicht vor, es wird immer nur vom Staat gesprochen.“ Eine Anwendung der MMT würde die Staatsquote, also den Anteil des Staates am BIP, der in Europa bereits sehr hoch ist, noch weiter steigen lassen. Und wer würde den Staat bremsen, wenn er seine Ausgaben über das in Bezug auf die vorhandenen Güter angemessene Maß hinaus steigen lässt und damit die Inflation anheizt? Kinderschuhe Wie es aussieht, steckt MMT noch in den Kinderschuhen. Die Ver- treter der Neoklassik haben mit ihr keine Freude, die Postkeynesianer schon. Man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass die MMT im kommenden US-Präsidentschafts- wahlkampf eine große Rolle spielen wird. Bis dahin werden auch neue Erkenntnisse zum Funktionieren – oder Nichtfunktionieren – dieser Theorie in der Praxis vorliegen. In Europa scheint derzeit nur Britan- niens Labour Sympathien für die MMT erkennen zu lassen. Die Ge- fahr, dass der während der vergan- genen zehn Jahre gestiegene Ein- fluss des Staates auf die Wirtschaft durch MMT weiter zunehmen könnte, ist jedenfalls nicht von der Hand zu weisen. DR. KURT BECKER FOTO : © A S S ENAGON A S S E T MANAGEMENT, DWS Mehr Staat, weniger privat? Staatsquote (= Verhältnis der Staatsausgaben zum BIP) der G20 2018 Die Staatsquote bezeichnet das Verhältnis der Staatsausgaben zum Brutto- inlandsprodukt (BIP). In Deutschland wird die Staatsquote im Jahr 2020 laut der Prognose bei 44 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen. Der Einsatz von MMT ließe ein weiteres Ansteigen der Staatsquoten befürchten. Quelle: Institutional Money 2019 0 % 5 % 10 % 15 % 20 % 25 % 30 % 35 % 40 % Indonesien Südkorea Mexiko Indien China Südafrika Russland Türkei Saudi Arabien USA Japan Australien Brasilien Großbritannien Kanada Argentinien Deutschland EU Italien Frankreich Staatsquote der G20 J , 56 0 % , 48 2 % , 45 8 % , 43 6 % , 40 6 % , 32 8 % , 27 5 % , 24 7 % , 21 1 % , 16 6 % » Die Dynamik des Privatsektors als wichtigster Wachstumsmotor kommt im Modell nicht vor. « Dr. Martin Hüfner, Chefökonom von Assenagon Asset Management in München » MMT blendet die Wechsel- wirkungen zwischen Geld- und Fiskalpolitik komplett aus. « Joshua Feinman, Chefökonom der DWS 80 N o. 2/2019 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S : MODE RN MONE TAR Y THEOR Y

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