Institutional Money, Ausgabe 2 | 2019

S pätestens seit den letzten Wahl- kämpfen um die US-Präsident- schaft und die Mehrheit im Kongress hat sich die Modern Monetary Theory (MMT) als eines der po- pulärsten und umstrittensten makroökono- mischen Modelle der Gegenwart etabliert. Verantwortlich dafür ist vor allem der linke Flügel der Demokraten, repräsentiert durch Bernie Sanders und die junge Alexan- dria Ocasio-Cortez. Beide ließen durch Versprechen und Ideen aufhorchen, die aus dem theoretischen Werkzeugkasten der MMT stammen. So hat Sanders beispielsweise von einer „Jobgarantie“ gesprochen. Ocasio-Cortez erklärte wiederum, dass ein höheres Defizit im Staatshaushalt kein Beinbruch wäre, weil man doch mit dem Geld gute Din- ge wie Sozialprogramme umsetzen könnte – und berief sich damit auf einen weiteren Grundpfeiler der MMT. Doch worum geht es bei diesem Modell eigentlich? Zunächst die Punk- te, die außer Streit stehen: Bei der MMT handelt es sich um eine postkey- nesianische Strömung, die so gar nicht mit der vorherrschenden neoklassischen ökonomischen Lehre vereinbar ist. Jung ist sie auch, denn was sind schon gut 20 Jahre in der Volkswirtschaftslehre? Fakt ist außerdem, dass der amerikanische Ökonom, Hedgefondsgründer und Politiker Warren Mosler im „Journal of Post Keyne- sian Economics“ 1997 den Artikel „Full Employment and Price Stability“ publizierte. Darin argumentierte Warren Mosler eine These, die bis heute als prägend für MMT gilt: Die Arbeitslosigkeit ist durch ein zu niedriges Staatsdefizit bedingt, was nichts anderes bedeutet, als dass der Staat durch einen Ausbau der Staatsverschuldung jeder- zeit Vollbeschäftigung herstellen und damit „Employer of Last Resort“ sein könnte, wenn er denn nur wollte. Nebenbedingung ist allerdings, dass der Staat Herr über eine eigene Währung ist und diese jederzeit aus- geben kann. Auf der anderen Seite kritisiert Mosler die gegenwärtige Wirtschaftspolitik, da sie darauf abziele, die Arbeitslosigkeit in Zeiten zu hoher Inflation durch die Anhe- bung der Zinsen zu erhöhen. Mosler selbst hat an der University of Missouri-Kansas City (UMKC) studiert, die als Brutstätte von MMT-Ökonomen gilt. Dort hat er auch das „Center for Full Employment And Price Stability“ ins Leben gerufen. Am selben Ort hat auch Stephanie Kelton, eine weitere Hauptvertreterin dieser ökonomischen Strömung, als Professorin gewirkt. Kelton hat später Bernie Sanders während des Präsidentschaftswahlkampfs in volkswirtschaftlichen Fragen beraten – wo- mit sich der Kreis zwischen Theorie und Politik schließt. Mosler, Kelton und ihre Anhänger haben auch zum Thema „Steuereinnahmen“ einen ganz eigenen Ansatz: Während die klassi- sche Lehre Steuereinnahmen als das Sub- strat ansieht, das Staaten erst in die Lage versetzt, Ausgaben zu tätigen, sehen die MMT-Vertreter den Staat als Monopolisten. Er ist der Schöpfer der eigenen Währung – betreibt also Geldschöpfung. Seine Ausga- ben ermöglichen es den privaten Unterneh- men und Haushalten überhaupt erst, Steuern zu entrichten. Steuern sind hauptsächlich zu Umverteilungszwecken vorhanden und wer- den nicht mehr als Finanzierungsinstrument des Staates betrachtet. Sollte die Inflation einmal aus dem Ruder laufen, werden Steuererhöhungen das zu viel vorhandene Geld einfach abschöpfen. Das Schöne an dieser Theorie ist, dass gemäß MMT jede Krise – und sei sie noch so tief – durch das Anwerfen der staatlichen Druckerpresse und die Verringerung der Steuerlast gemeis- tert werden kann. Mit diesem Modell hat man unter anderem die Krise 2008/09 auf- gearbeitet – schließlich agierten die USA im Wesentlichen so, wie es die MMT be- schreibt. Auch der ehemalige Wirtschaftsweise Peter Bofinger, Professor an der Universität Würzburg, hat sich mit MMT auseinander- gesetzt und will einige gute Ansätze ausge- Modern Monetary Theory I. Das postkeynesianische Modell gilt als letzter Schrei der ökonomischen Theorie und sorgt sowohl in Ökonomenzirkeln als auch in Politkreisen für hitzige Debatten. Alles nur Chimäre? FOTO : © S TONY B ROOK UN I V E R S I T Y, T I M F L AVOR , S YDA P RODUCT I ONS | S TOCK . ADOB E . COM » Solange die USA kein langfristiges Inflationsproblem hat, hat sie auch kein langfristiges Verschuldungsproblem. « Stephanie Kelton, Professor of Public Policy and Economics an der Stony Brook University, New York Helicopter Money ante portas? » Kenneth Rogoff hat recht mit seinem Urteil, dass die MMT größtenteils Unsinn darstellt. « Marcel Fratzscher, Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin und Chef des DIW 78 N o. 2/2019 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S : MODE RN MONE TAR Y THEOR Y

RkJQdWJsaXNoZXIy ODI5NTI=