Institutional Money, Ausgabe 2 | 2019

Verantwortung durch die Fiskalpolitik rea- giert. Das übersehen wir gerade in der deut- schen Diskussion sehr häufig, wenn die Notenbank scharf kritisiert wird. Natürlich verfolgt die EZB diesen Kurs schon sehr lange. Aber das hat eben auch seinen Grund, nämlich dass die Weichen in vielen Ländern nicht so stark auf Wachstum ge- stellt wurden, wie man es hätte tun können. Nun ist die Fiskalpolitik im Euroraum aus gutem Grund in der Hand nationaler Re- gierungen. Aber man darf doch durchaus kritisch auf solche Entwicklungen wie bei- spielsweise in Italien schauen. Was meinen Sie konkret? Schmidt: Die Wachstumsleistung gerade der italienischen Volkswirtschaft ist nicht nur aus meiner Sicht schon seit langer Zeit sehr verbesserungsbedürftig. Aus diesem Grund wäre es nur allzu gut, wenn man dort, statt die bewusste Konfrontation mit der EU zu suchen, eher auf einen Kurs wachstums- orientierter Strukturreformen einschwenken würde. Aber können Sie verstehen, dass es zuneh- mend Zweifel gegenüber der klassischen Ökonomie gibt, weil sie es vielleicht ge- schafft hat, Stabilität herzustellen, aber grundsätzliche Probleme wie eine steigende Staatsverschuldung oder auch eine zuneh- mende Verschuldung der Privaten bisher nicht hat lösen können. Schmidt: Dass die klassische Ökonomie uns nicht geholfen hat, trifft aus meiner Sicht nicht zu. Das könnte man allenfalls sagen, wenn sich die Volkswirtschaft in einer negativen Situation befände, etwa einer markanten wirtschaftlichen Flaute, und die Wirtschaftspolitik vorher den Ökonomen aufs Wort gefolgt wäre. Von beidem kann aber nun wirklich keine Rede sein. Nehmen wir die Forderung nach Strukturreformen: Ein Staat wäre gut beraten, in vergleichs- weise guten Zeiten seine Schulden zurück- zuführen und durch Strukturreformen – die oft gewachsene Privilegien einzelner Grup- pen durchbrechen und daher kurzfristig wehtun – die Wachstumskräfte zu stärken. Leider werden diese guten Zeiten trotz der Hinweise aus der Wirtschaftsforschung von der Politik allzu häufig nicht als solche er- kannt. Es finden sich im politischen Prozess stattdessen häufig vermeintlich gute Argu- mente dafür, den Haushalt gerade jetzt noch nicht zu konsolidieren und Strukturrefor- men gerade jetzt noch nicht durchzuführen. Ökonomen brauchen bisweilen eine hohe Frustrationstoleranz, wenn ihre Grunder- kenntnisse ungehört verpuffen. Was sind das für Grunderkenntnisse? Schmidt: Wir haben eine Fülle von Belegen dafür, dass richtig gesetzte Anreize ge- wünschte Entwicklungen fördern und schlecht gesetzte Anreize unerwünschte Folgen haben können. Wir wissen auch, dass bei allem politischen Handeln Budget- beschränkungen zu beachten sind, denn aus dem Paradies sind wir nun einmal vertrie- ben worden. Außerdem reagieren Menschen im Vorgriff auf die von ihnen erwarteten Entwicklungen und politischen Weichen- stellungen. Wenn allein diese drei Grund- erkenntnisse im politischen Handeln konse- quent berücksichtigt würden, dann würden wohl viele Schieflagen und Krisen erst gar nicht entstehen. Schon allein aus dieser Erkenntnis heraus halte ich die Einschät- zung, wonach die Ökonomik bisher nichts gebracht habe, schlichtweg für falsch. Wir danken für das Gespräch. HANS HEUSER » Eine Diagnose, wonach die klassische Ökonomie uns nicht geholfen hat, halte ich schlichtweg für falsch. « Prof. Christoph Schmidt, RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung A L L E F OTO S : © I N A FA S S B E ND E R 52 N o. 2/2019 | www.institutional-money.com THEOR I E & PRA X I S : CHR I STOPH SCHMIDT | RWI – L E I BNI Z- INST. F. WI RT SCHAFT SFORSCHUNG

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