Institutional Money, Ausgabe 2 | 2019

junkturell guten Zeiten nicht dazu verleiten zu lassen, den soliden Pfad zu verlassen. Eine Grunderkenntnis gesamtwirtschaft- licher Analysen ist es, dass automatische Stabilisatoren für die Abfederung konjunk- tureller Schwankungen sehr bedeutsam sind. Die Konjunktur sollte in guten Zeiten nicht unangemessen weiter angeheizt wer- den, und die Wirtschaftsleistung sollte in schlechten Zeiten nicht so stark einbrechen, wie sie es ohne diese Stabilisatoren tun würde. Zu diesen Stabilisatoren gehört vor allem ein gutes soziales Sicherungssystem. Die Erfahrung zeigt zudem, dass es relativ schwer ist, mit gezielten diskretionären Steuerungsmaßnahmen gegen Konjunktur- einbrüche anzukämpfen. Häufig kommen diese Maßnahmen zu spät oder zu früh und haben sogar ungewollte Konsequenzen. Da- her ist eine solide Haushaltspolitik, die in Normalsituationen vor allem solchen auto- matischen Stabilisatoren oder eben der Geldpolitik das konjunkturelle Abfedern überlässt, ein durchaus sinnvolles Vorgehen. Zudem hat Deutschland eine besondere Verantwortung, gerade im Euroraum zu demonstrieren, dass es in guten Zeiten, wie wir sie in den vergangenen Jahren erlebt haben, möglich ist, fiskalische Handlungs- spielräume zurückzugewinnen. Deutschland sollte nicht diejenige Volkswirtschaft sein, die diese Linien durchbricht. All diese Gründe sprechen dafür, weiterhin auf dem soliden Pfad zu bleiben. Darf man daraus schließen, dass Sie ein Befürworter der schwarzen Null sind? Schmidt: Nicht um ihrer selbst willen! Aber vor dem Hintergrund, dass wir in den ver- gangenen Jahren die dringend anzuratende Verringerung der Schuldenstandsquote er- lebt haben, sodass die Haushaltsspielräume wieder größer geworden sind, war diese Sprachfigur schon eine gewisse Erfolgsge- schichte. Schließlich wäre es ja auch inner- halb der gesetzten Grenzen durchaus mög- lich, mehr zu investieren, wenn man nur die Prioritäten in dieser Hinsicht richtig setzt. Aber verunsichert es Sie nicht, wenn inzwi- schen auch die USA ihren Zinserhöhungs- kurs wieder verlassen haben? Ganz zu schweigen von einer EZB, die schon vor ge- raumer Zeit signalisiert hat, dass die Zinsen bis Ende 2019 und darüber hinaus extrem niedrig bleiben werden. Schmidt: Im Sachverständigenrat – und das ist in den Konjunkturprognosen des RWI nicht viel anders – betrachten wir es schon seit Langem mit Sorge, dass sich die Risi- ken für die Finanzstabilität in der inzwi- schen schon sehr lange anhaltenden Phase extrem niedriger Zinsen keineswegs einfach nur seitwärts entwickeln. Diese Risiken werden vielmehr tendenziell größer, je län- ger die Niedrigzinsphase anhält. Unsere Sorgen sind auch nicht dadurch erheblich geringer geworden, dass die EZB eine sanf- te Verlangsamung ihres Kurses gezeigt hat. Denn dies war eben keine Abkehr vom expansiven Kurs, stattdessen wird sie für lange Zeit auf diesem Kurs bleiben. Das ist auf Dauer kein Zustand, den wir für wün- schenswert halten. Vielleicht nicht wünschenswert, aber die Frage ist doch, ob es überhaupt eine Chance gibt, aus dieser Spirale wieder herauszukom- men – auch im Hinblick auf die Tatsache, dass die Verschuldung nach der Finanzkrise weiter zugenommen hat. Und Japan lässt in diesem Zusammenhang grüßen. Schmidt: In den vergangenen Jahren war das Wirtschaftswachstum im Euroraum doch gar nicht so schlecht. Dies war nicht zuletzt deswegen möglich, weil die EZB mit ihrer expansiven Politik für Rückenwind gesorgt hat. In der langen Frist sind es jedoch die für die Fiskal- und Wirtschaftspolitik Ver- antwortlichen, die das Heft in der Hand haben. Schließlich hat die EZB doch vor allem auf die mangelnde Übernahme von » Im Grunde ist die schwarze Null eine Art Heuristik, um mit begrenztem Wissen über den aktuellen konjunkturellen Zustand dennoch zu einer soliden Haushaltspolitik zu kommen. « Prof. Christoph Schmidt, RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung A L L E F OTO S : © I N A FA S S B E ND E R 50 N o. 2/2019 | www.institutional-money.com THEOR I E & PRA X I S : CHR I STOPH SCHMIDT | RWI – L E I BNI Z- INST. F. WI RT SCHAFT SFORSCHUNG

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