Institutional Money, Ausgabe 2 | 2019

aus. Ist der Sachverständigenrat da nicht etwas zu zuversichtlich in Bezug auf die weitere Entwicklung der Konjunktur über das laufende Jahr hinaus? Schmidt: Auch bei dieser Zahl muss man den genauen Hintergrund kennen. Diese Zahl entspricht dem nicht arbeitstäglich bereinig- ten Wert. Das heißt, die genannten 1,7 Pro- zent enthalten zu einem Gutteil auch den Umstand, dass das kommende Jahr unge- wöhnlich viele Arbeitstage haben wird. Würde man den Wert um diesen Faktor be- reinigen, läge er eher um 0,4 Prozentpunkte niedriger bei dann 1,3 Prozent für das Wachstum im Jahr 2020. Somit ist unsere Prognose für das kommende Jahr mit der Einschätzung für das laufende Jahr konsis- tent: Die konjunkturelle Dynamik hat sich zwar abgeschwächt, aber eben nicht ganz so dramatisch, wie es vielleicht auf den ersten Blick aussehen mag. Das heißt aber auch, dass wir zwar davon ausgehen, dass sich die Wirtschaft wieder etwas erholen wird, aber eben auch nicht so deutlich, wie man es bei grober Betrachtung annehmen könnte. Wie schon gesagt: Wir erwarten eine Normalisierung des Wachstums hin zum Potenzialpfad. Angesichts einer inzwischen inversen Zins- struktur in den USA, selbst bei zehnjährigen Anleihen, und IWF-Verlautbarungen, in de- nen von einer zerbrechlichen Weltkonjunk- tur die Rede ist, fallen andere Vorhersagen deutlich pessimistischer aus und gehen schon heute von einer nicht zu verhindern- den Rezession aus. Das würde doch auch Deutschland nicht ungeschoren lassen. Schmidt: Wir behaupten in unserer Prognose ja nicht, dass überhaupt keine Gefahr einer Rezession besteht. Im Gegenteil. Eine Spira- le aus protektionistischen Maßnahmen hätte im ohnehin schwächeren weltwirtschaftli- chen Umfeld ganz klar das Potenzial, die deutsche Wirtschaft in eine Rezession ab- gleiten zu lassen. Die Wahrscheinlichkeit dieses Szenarios ist aus unserer Sicht aber deutlich zu klein, als dass man im Basis- szenario aktuell eine Rezession erwarten sollte. Die Welt läuft nun einmal nicht in deterministischen Bahnen, deshalb muss man auch in der Konjunkturprognose stets damit rechnen, dass eine bestimmte Ent- wicklung schnell auch wieder in eine andere Richtung gehen kann. Aber eine markige Aussage, so mal ins Blaue hinein, dass es in absehbarer Zeit sicher eine Rezession ge- ben wird, würde sicher nicht zu uns passen. Denn wir sind gehalten, eine grundlegend seriöse und belastbare Prognose vorzulegen, keine Sensationsmeldung, um die Aufmerk- samkeit zu gewinnen. Jemand, der anders als wir nicht die Verantwortung hat, solide Prognosen für wirtschaftspolitische Pla- nungsprozesse abzuliefern, kann natürlich häufiger einmal den Hasardeur geben und davor warnen, dass – übertrieben formuliert – morgen die Welt zusammenbricht. Er wird das vielleicht auch zehnmal sagen, und neunmal falschliegen. Beim zehnten Mal sind die Fehlschläge oft vergessen, und der Hasardeur kann sich in den Medien als Guru feiern lassen. Das ist aber nicht unsere Rolle. Daher bin ich mit solchen markigen Aus- sagen zurückhaltend. Im Gegensatz zu anderen Auguren, die die Politik inzwischen gewissermaßen als machtlos betrachten angesichts eines zykli- schen Abschwungs, gepaart mit einer im- mer weiter gestiegenen hohen Verschul- dung, extrem niedrigen Zinsen und den Un- sicherheiten, die auch Sie erwähnt haben. » Die Wirtschaftspolitik ist gut beraten, in einer Zeit, da sich nicht so richtig erkennen lässt, wie es weitergehen wird, den langfristigen Wachstumspfad in den Blick zu nehmen. « Prof. Christoph Schmidt, RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung A L L E F OTO S : © I N A FA S S B E ND E R 46 N o. 2/2019 | www.institutional-money.com THEOR I E & PRA X I S : CHR I STOPH SCHMIDT | RWI – L E I BNI Z- INST. F. WI RT SCHAFT SFORSCHUNG

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