Institutional Money, Ausgabe 2 | 2019

anderen aufgrund von eigenen Kapazitäts- engpässen, auf die wir allerdings schon vor- her hingewiesen hatten. Zusammengenom- men haben diese Faktoren zu einer Stagna- tion der Wirtschaftsleistung im vierten Quartal geführt. An dieser Stelle kommt der zweite Grund ins Spiel: Wenn man jahres- durchschnittliche Wachstumsraten berech- net, dann wirkt sich eine Kombination aus einem schlechten vierten Quartal, aus dem man sozusagen schon einen Rucksack ins nächste Jahr mitnimmt, und einem schwa- chen ersten Quartal des Folgejahres be- sonders stark auf das Wachstum aus, weil der Wert für das erste Vierteljahr zur Gänze in die Berechnung einfließt. Das zweite Quartal schlägt dann nur noch mit drei Vier- teln, das dritte mit der Hälfte und das vierte mit einem Viertel des jeweiligen Wertes zu Buche. Das heißt, wenn man die Jahresverlaufsrate betrachtet, bei der man vom jeweiligen Quartal immer zwölf Monate zurückblickt, sieht es gar nicht so schlimm aus? Schmidt: So ist es. Es hat zwar eine deutliche Dämpfung der wirtschaftlichen Leistung ge- geben. Eine Rezession ist aber bislang nicht zu erkennen. Dazu müsste die wirtschaft- liche Schwäche tiefgreifender und breiter angelegt sein. Arbeitsmarkt und Binnenwirt- schaft zeigen sich bislang jedoch in einer sehr guten Verfassung. Wir sind vielmehr dabei, uns konjunkturell hin zu einem Wachstumspfad zu bewegen, der in etwa unserem Potenzialwachstum entspricht. Diese Größe blendet konjunkturelle Ein- flüsse gedanklich aus und liegt bei zirka 1,5 Prozent realem Wachstum pro Jahr. Wir sind im Aufschwung für einige Jahre schneller gewachsen, jetzt nähern wir uns sozusagen von oben wieder diesem Poten- zialwachstum an. Als Fazit lässt sich fest- halten: keine Fortsetzung des grandiosen Aufschwungs der vergangenen Jahre, aber eben auf der anderen Seite auch keine Rezession. Dennoch sollte man die keines- wegs zu unterschätzenden Risiken nicht aus den Augen verlieren, selbst wenn sie sich momentan noch nicht niederschlagen. Dann gibt es etwas wie einen Bias zum Op- timismus bei den Wirtschaftsweisen nicht? Schmidt: Nein. Unsere Prognose entspricht dem sogenannten Modalwert, also dem Wert, der die nach unserer Einschätzung wahrscheinlichste Entwicklung wiedergibt. Aber natürlich gibt es auch bei dieser Kenn- zahl gewisse Aufwärts- wie auch Abwärts- risiken … … die wie genau aussehen? Schmidt: Zu den Abwärtsrisiken zählen wir beispielsweise einen möglichen ungeordne- ten Brexit, der ja auch im Nachgang zu un- serer Konjunkturprognose noch keineswegs abgewendet ist. Auch der nach wie vor un- gelöste Handelskonflikt zwischen China und den USA, der sich inzwischen sogar wieder verschärft hat, zählt mit Sicherheit dazu. Und nicht zuletzt besteht die Mög- lichkeit, dass sich im Euroraum neue Zuspitzungen ergeben können. Auf der an- deren Seite könnten wir natürlich auch be- stimmte Sonderfaktoren falsch eingeschätzt haben, sodass die Grunddynamik der Wirt- schaft in Wirklichkeit stärker ist, als von uns erwartet. Insgesamt sollte man jeden- falls nicht von einem Optimismus-Bias in Bezug auf unsere Prognosen ausgehen. Aber für 2020 gehen Sie schon wieder von einem Wachstum in Höhe von 1,7 Prozent » Unsere Prognose ent- spricht dem sogenannten Modalwert, also dem Wert, der die nach unserer Einschätzung wahrscheinlichste Entwicklung wiedergibt. « Prof. Christoph Schmidt, RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung A L L E F OTO S : © I N A FA S S B E ND E R 44 N o. 2/2019 | www.institutional-money.com THEOR I E & PRA X I S : CHR I STOPH SCHMIDT | RWI – L E I BNI Z- INST. F. WI RT SCHAFT SFORSCHUNG

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