Institutional Money, Ausgabe 2 | 2019

BR I E F DER HERAUSGEBER 4 N o. 2/2019 | www.institutional-money.com D as Thema Altersarmut gewinnt neueren Daten zu- folge in Deutschland an Bedeutung. Klammert man jene Ruheständler, die eine staatliche Pension erhalten, aus, sind bereits 20 Prozent der Rentner gefährdet. Angesichts der demografischen Situation, in der wir uns befinden, wird sich dieses Problem nicht von selbst lösen, sondern an Brisanz zunehmen. Daher ist jeder Versuch, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, begrüßenswert. Das gilt auch für ungewöhnliche Konzepte. Man kann schließ- lich nicht bei jeder Gelegen- heit verlangen, dass „out of the box“ gedacht werden soll, und dann alles abwürgen, was vom Althergebrachten ab- weicht. Es ist daher auch sinnvoll, die vom Münchner ifo-Institut präsentierten Be- rechnungen eines mit Staats- anleihen finanzierten Bürger- fonds zur Schließung von Versorgungslücken bei Rent- nern ernst zu nehmen. Ifo-Chef Clemens Fuest und sein Team legen eine Analyse vor, die zu dem Ergebnis kommt, dass man die aktuelle Zinsdiffe- renz zwischen deutschen Staatsanleihen und Kapitalmarktinvesti- tionen in Aktien, höher verzinste Anleihen und Immobilien für die Schaffung einer Zusatzrente nützen könnte. Kurz gefasst: Deutsch- land emittiert (derzeit praktisch kaum verzinste) Staatsanleihen, investiert dieses Geld in ertragreichere Assetklassen und schüttet die so erwirtschaftete Renditedifferenz zwischen diesen Anlage- klassen als Zusatzrente an Bürger im Ruhestand aus. Zugegeben, das klingt auf Anhieb eher verrückt – die allererste Regel der Kapi- talanlage lautet: Spekuliere niemals auf Kredit. Die Münchner Wirtschaftsforscher haben das Konzept auf Basis eines jährlichen Investments in Höhe von 0,5 Prozent des BIPs durchgespielt. Unterstellt wurden mehrere Renditedifferenzen, und am Ende gelangte man zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass man bei zwei Prozentpunkten Ertragsunterschied zwischen Staatsanlei- hen und Kapitalmarktertrag pro Bürger eine Kapitalleistung von 16.000 Euro erwirtschaften könnte, bei drei Prozent wären es schon 30.000 Euro. Die ifo-Forscher schreiben: „Alle Varianten zeigen, dass die Idee, die hohe Bonität Deutschlands im Interesse der Bür- ger gezielt zu nutzen, ohne die Verschuldungsregeln zu verletzen, erhebliche Vermögenssteigerungen und speziell Verbesserungen bei der Altersversorgung ermöglicht. Dabei ist hervorzuheben, dass eine Belastung durch zusätzliche Beiträge, die vor allem von Menschen mit geringem Einkommen kaum zu leisten sind, entfällt.“ Bemerkenswerterweise beurteilt mit Thomas Mayer vom Floss- bach von Storch Research Institute ein weiterer ernst zu nehmen- der Experte diese erstmals vom Unternehmer und Investor Lutz Helmig vorgeschlagene Idee positiv, wobei Helmigs Konzept ursprünglich noch weiter geht. Mayer schrieb im Mai für die FAZ einen Artikel, in dem steht: „Lutz Helmig (…) schlägt einen Bür- gerfonds vor, der alle vorhandenen Bundesschulden übernimmt und neue Bundesanleihen ausgibt. Gleichzeitig übernimmt der Bürgerfonds den marktgängigen Besitz des Bundes und legt den Erlös aus der Ausgabe neuer Bundesanleihen in Aktien, Anleihen und Immobilien an. (…) Bevor deutsche Politiker dieses Privileg an unsere europäischen Nachbarn verschenken, sollten sie sich mit Helmigs Idee auseinandersetzen.“ Das Team um Fuest macht in seiner Beurteilung allerdings auch klar, dass man es hier keinesfalls mit einem Free Lunch zu tun hat. Auch gut diversifizierte Portfolios, so ihre Anmerkung, enthal- ten stets Risiken – allerdings, fügen sie hinzu, sei dies bei allen kapitalgedeckten Altersvorsor- gesystemen der Fall. Als Ma- nager des Konzepts schlägt man die Bundesbank vor, der „Bürgerfonds“, so die Emp- fehlung, sollte dem politi- schen Tagesgeschäft entzogen werden. Ob dies wirklich funktionieren kann, wird na- türlich davon abhängen, ob es möglich ist, jahrzehntelang konstant zwei bis drei Prozent Zinsdifferenz zu verdienen. Aus der Sicht institutioneller Investoren stellt sich in die- sem Zusammenhang aller- dings schon davor die Frage, ob es im Fall einer Umsetzung des Konzepts in Hinkunft zulässig sein kann, bestehende Altersvor- sorgeeinrichtungen weiterhin dazu zu nötigen, praktisch ertraglose Bundesanleihen zu kaufen, um das so eingesammelte billige Kapi- tal in ein neues Altersvorsorgekonzept zu stecken. Man sieht, die Zinsanomalie, in der wir uns befinden, sorgt nicht nur für Frustration, sondern löst auch einigen Erfindungsgeist aus. Wir wünschen Ihnen wie gewohnt an dieser Stelle einen ebenso erfolgreichen wie erholsamen Sommer. Kommt die Zinsdifferenzrente? Gerhard Führing Mamdouh El-Morsi Gerhard Führing Mamdouh El-Morsi

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