Institutional Money, Ausgabe 2 | 2019

D er Diskurs über Verlauf und Auslöser der Eurokrise läuft in den Ländern der Kernzone relativ gleich ab: Demnach hat fiskaler Übermut die Länder der Periphe- rie im Rahmen der Finanzkrise kalt er- wischt. Die so aufgedeckten und aufgetrete- nen strukturellen Probleme hätten diese Volkswirtschaften im Rahmen der Eurokrise de facto in den Staatsbankrott ge- trieben – was nur durch das beherz- te Eingreifen der Nettozahler ver- hindert werden konnte. Das größte Risiko für den Fortbestand der Eurozone lag und liegt demzufolge in der Peripherie und dem Über- schwappen einer allfälligen neuen Krise der mediterranen Länder auf den Rest der Union. Wie geschlossen diese Meinungs- front ist, zeigte zuletzt ein im Mai 2018 er- folgter Aufruf von 154 Ökonomen in der FAZ. Der Titel der Stellungnahme erklärt ihr Anliegen: „Der Euro darf nicht in die Haf- tungsunion führen!“ Mit Ausrufezeichen, wohlgemerkt. Bei so viel lautstarker Ein- stimmigkeit dürfen sich neugierige Beob- achter fragen, ob es nicht doch auch andere Meinungen zu dem Thema gibt. Und tatsächlich: Die gibt es, wobei man verständlicherweise eher in der Peripherie als in der Kernzone fün- dig wird, wenn es um alternative Thesen zur Eurozonen-Problematik geht. Finanzmarktaufseher Prominent hat sich in diesem Zusammenhang immer wieder Mar- cello Minenna, Direktor für quanti- tative Marktbeobachtung bei Ita- liens Finanzmarktaufsicht Consob, ins Spiel gebracht. Im Frühjahr die- ses Jahres legte er ein rund 50 Sei- ten dickes Positionspapier mit dem Titel „The New Eurozone Risk Morpholo- gy“ vor – was spannend ist: Wie sieht ein Vertreter des offiziellen Italien die Risiken der Eurozone, und was soll daran neu sein? Tatsächlich ortet Minenna zwei Hauptrisi- koherde für den Bestand der Eurozone: zum einen „die großen und nachhaltigen Produk- tionslücken“ innerhalb der Zone und zum anderen die „systematische Risikotrennung, die jeden effektiven Fortschritt Richtung Fiskalunion verhindert“. Damit hat sich Minenna bereits beim Abstecken der Risiko-Morphologie in ein Minenfeld begeben. Denn ob ein Weg Rich- tung Fiskalunion überhaupt angestrebt wer- den soll, ist bekanntermaßen nicht unum- stritten – später mehr zu diesem Punkt. Zunächst wollen wir uns dem vermeint- lich konsensualeren Aspekt der Produktions- lücke widmen. Sowohl in Kerneuropa als auch an der Peripherie ist man relativ ein- hellig der Meinung: „Ja, die gibt es.“ Schwieriger wird es, wenn man nach dem Auslöser dieser Differenz fragt. Die mehr- heitsfähige Position in Deutschland und im Rest Kerneuropas ist bekannt und soll des- halb nur kurz und ohne Anspruch auf Voll- ständigkeit angeführt werden: Bessere Struk- turen und Rahmenbedingungen sorgen für höhere Produktivität und einen hart erarbei- teten Wettbewerbsvorteil. Unangebrachte Vorteile In Italien sieht das Minenna ein wenig anders. Demnach hätten die Verfechter der Eurozone immer da- rauf hingewiesen, dass eine Ein- heitswährung „den unfairen Vorteil eliminieren würde, den Volkswirt- schaften genießen, die ihre Wäh- rung aus Wettbewerbsgründen ab- werten, um so die eigene Export- wirtschaft auf Kosten ihrer Nach- barn zu fördern“, so der Consob- Vertreter. „Es hat sich jedoch her- ausgestellt“, so Minenna weiter, „dass die Architektur der Eurozone – insbesondere durch die Interpreta- tion seitens der herrschenden euro- päischen Klasse – einen ebenso fruchtbaren Boden für die Entwick- Der italienische Finanzmarktaufseher Marcello Minenna hat ein Positionspapier zur Eurozone verfasst. Dieses gewährt einen bemerkenswerten Einblick in die Gedankenwelt der Euro-Peripherie und lässt erahnen, wie entschlossen diese Länder auf eine Systemänderung der Eurozone hinarbeiten werden. Reale Währungsentwicklung Der finanzielle reale effektive Wechselkurs ausgewählter Euroländer Kalkuliert man in den realen Wechselkurs den Rendite-Spread mit ein, ergeben sich seit Einführung des Euro eine deutliche Abwertung in Deutschland und eine gewaltige Aufwertung in Spanien und Italien. Quelle: Studie 80 90 100 110 120 130 Indexpunkte Frankreich Spanien Italien Deutschland 2015 ‘18 2010 2005 2000 FOTO : © I MAGO ECONOM I CA , SCHU L Z- DE S I GN | S TOCK . ADOB E . COM » Die Architektur der Eurozone (…) bietet einen fruchtbaren Nährboden für unangebrachte Wettbewerbsvorteile. « Marcello Minenna, Consob Italienische Verbitterung 232 N o. 2/2019 | www.institutional-money.com P R O D U K T E & S T R A T E G I E N : EURO - R I S I K EN

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