Institutional Money, Ausgabe 2 | 2019

und Favelas sehen, können diese starken Eindrücke einen großen Einfluss haben. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: 2013 reiste ich in die Ukraine und kam mit einem sehr düs- teren Bild des Landes nach Hause. Es war zwar ein Jahr vor der Revolution, aber es fühlte sich noch an wie das Ende des Zyklus. Wir hatten damals eine größere Ukraine-Position, und ich begann nach meiner Rückkehr, sie aufzulösen. Das war aber zu früh. Kurze Zeit darauf begann eine Rallye für die Ukraine, und einen Teil davon haben wir mit dem Fonds verpasst, weil wir zu früh aus- gestiegen sind. Und die Türkei? Dort haben Sie auch eine größere Gewichtung. Jean-Jacques Durand: Ende der 1990er, Anfang der 2000er, als ich noch Händ- ler war, war die Türkei einer meiner wichtigsten Märkte. Ich habe 2001 die Bankenkrise in der Türkei miterlebt und die große Abwertung. Die Türkei hat für mich zwei wichtige Aspekte: Zum einen ist die Wirtschaft sehr diversifiziert und dyna- misch, die Demografie günstig, aber sie hängt sehr vom Export und damit vom Ver- hältnis zu Europa, zum Mittleren Osten und zu Russland ab. Die Türkei kann nicht ein- fach tun, was sie will. Zum anderen gibt es die politische Seite. Die letzten 15 Jahre mit der AKP und später Erdogan als Präsident haben Stabilität gebracht. Es gab fantasti- sche Jahre des Wachstums und der Ent- wicklung, aber auch eine Politik mit auto- kratischen und nationalistischen Zügen. Das führte zu Konfrontationen. In den letzten Jahren hat die Türkei einen enormen Dis- count für diesen politischen Trend und seine geopolitische Lage zahlen müssen. Wir ver- suchen, diese beiden Faktoren separat zu betrachten, wenn wir die Frage beantworten wollen: Ist das Chance-Risiko-Verhältnis für türkische Anleihen für uns langfristig okay? Unsere Antwort ist: „Ja!“ Vielleicht waren wir letztes Jahr etwas früh dran, aber wir haben unsere Position noch weiter ausgebaut und fühlen uns damit wohl. Man sagt ja: „Politische Börsen ha- ben kurze Beine“. Gilt das auch für Emerging Markets? Jean-Jacques Durand: Das kommt darauf an. Der Streit zwischen der Türkei und den USA letzten Sommer hatte beispielsweise nur einen vorüber- gehenden Effekt auf die Börsen. Aber die politische Situation in China wird meiner Meinung nach einen langfristigen Einfluss auf die Börsen haben. Über Emerging Markets zu sprechen, ohne China zu erwähnen, geht sowieso nicht. Was halten Sie denn von China? Jean-Jacques Durand: Ich halte China derzeit für den größten Risikofaktor der Weltwirt- schaft. Chinas Staatspräsident Xi Jinping ist eine One-Man-Show, der alle Macht auf sich konzentriert, und er wird vermutlich lebenslang an der Macht bleiben. Der poli- tische Trend, der auf Konfrontationen basiert, ist hier also langfristig. Auch wenn es ein paar gesichtswahrende Verhand- lungen gibt: Die Konfrontation gegenüber den USA und dem Westen generell wird nicht aufhören. Auch in Afrika stößt Chinas Politik der Einflussnahme mittlerweile auf Widerstand. Das findet nicht nur auf wirt- schaftlicher Ebene, sondern auch auf poli- tischer und auf militärischer Ebene statt. Das lässt mich für China sehr pessimistisch sein. Die meisten Ihrer Kollegen sehen China als den größten Treiber des wirtschaftlichen Wachstums … Jean-Jacques Durand: Ja, ich bin erstaunt, dass so viele Marktteilnehmer Xi Jinping als den Super-Staatspräsidenten ansehen, und ich staune, wie lässig die meisten Inves- toren die Machtkonzentration in China auf Xi Jinping sehen. Schauen Sie zu- rück in die Geschichte: Eine so große Machtkonzentration auf einen einzigen Menschen war noch nie gut. Außerdem sehe ich in China eine Missallokation von Kapital, einen Anstieg der Schul- den. Daneben führt die demografische Situation dazu, dass das Arbeitskräfte- potenzial 2018 erstmals gesunken ist – um vier Millionen. Es gibt in China kein funktionierendes Pensionssystem. In China gibt es jetzt aber eine große Mittelklasse. Die hat 15 Jahre lang nur positives Wachstum gesehen. Die haben auch ihre Erwartungen. Daher wäre jetzt die Zeit reif für ein anderes politisches System, aber da passiert nichts. Bezüglich China werden wir eine ganz große Desillu- sionierung sehen. Es wird dort eine harte Landung geben. Ich weiß nicht, ob das nächstes Jahr oder erst in fünf Jahren kom- men wird. Wir hedgen auf jeden Fall gegen einen China-Schock. Ein solcher Hedge ist derzeit günstig zu haben, weil der Konsens positiv gegenüber China ist. Wir halten aber einen China-Hedge für so wichtig wie eine Feuerversicherung für ein Haus. Sie sind also long in Venezuela und short in China? Jean-Jacques Durand: Ja, genau! Auch wenn der Konsensus das anders sehen mag. Afrika galt doch vor einiger Zeit als der große Hoffnungsträger. Wie sehen Sie die- sen Kontinent? Jean-Jacques Durand: Seit 2010/2011 gab es viele neue Emittenten aus Afrika, und wir waren dort 2014/15 auch stark investiert, beispielsweise in Tansania, Namibia und Sambia. Zuvor hatten viele afrikanische Länder ihre Schul- den von den multinationalen Agentu- ren wie z. B. der Weltbank erlassen bekommen, weil sie als „High Indeb- ted Poor Countries“ (HIPC) galten. Sie hatten daher eine sehr geringe Schuldenquote. Aber als Konsequenz der Easy-Money-Politik der Zentral- » Wir halten einen China-Hedge für so wichtig wie eine Feuerversicherung für ein Haus. « Jean-Jacques Durand, Senior Portfolio Manager des Edmond de Rothschild Fund Emerging Bonds Unterwegs in Emerging Market Debt Jean-Jacques Durand managt seit 2011 den Edmond de Rothschild Fund Emerging Bonds, einen auf Schwellenmarktanleihen und Währun- gen sowie Absolute Return spezialisierten Fonds. Zuvor war Durand unter anderem für die Standard Bank (2005–2007), Crédit Agricole Indosuez (2002–2005) und ING Barings (2001–2002) tätig, überwie- gend im Trading für Emerging-Market-Debt-Papiere und Commodity- Strukturen. Der 1970 geborene Portfolio Manager besuchte zuletzt die international renommierte Fakultät ESCP Europe in Paris und hat einen Abschluss als Master of Economics & Finance. 204 N o. 2/2019 | www.institutional-money.com PRODUK T E & S T RA T EG I EN : J EAN- JACQUES DURAND | EDMOND DE ROTHSCHI LD

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