Institutional Money, Ausgabe 2 | 2019

wenn man Deutschland mit ande- ren europäischen Ländern ver- gleicht. Bei einer Erdgaspipeline aus Russland unterscheiden sich die Positionen auf internationaler Ebene ebenfalls sehr stark. Das heißt aber auch, dass man sich als großer Investor, der international anlegt, durchaus darüber im Kla- ren sein muss, unter welchen Len- kungsgesichtspunkten man denn eigentlich agiert. Wobei es ja schon Beispiele dafür gibt, dass auch auf internationaler Ebene durchaus ein Konsens zu erzielen ist, wenn man an das Thema FCKW in den neunziger Jahren zurückdenkt. Köberlein: Eindeutigkeit hilft natür- lich immer, das ist unstrittig. Nur ob es diese Eindeutigkeit aufgrund durchaus unterschiedlicher Wert- systeme und Vorstellungen in einem breiteren Rahmen geben kann, das ist aus meiner Sicht die große Frage. Denn in vielen Fällen wird es mit Sicherheit widerstre- bende Interessen geben, je nach- dem aus welcher Ecke die jewei- lige Lenkungsfunktion kommt. Reichmuth: Deshalb sollte man an dieser Stelle vielleicht den Gedan- ken von Herrn Poestges in Form eines Ziel- systems aufgreifen. Man kann lediglich ein bestimmtes Ziel definieren, etwa das Ziel einer Begrenzung der Erderwärmung um maximal 1,5 Grad im Pariser Abkommen. Die tatsächliche Umsetzung, wie man die- ses Ziel erreichen kann, überlässt man dann den jeweiligen Staaten selbst. Das wäre aus meiner Sicht sehr viel sinnvoller, als jetzt allgemein gültige Vorschriften auf globaler Ebene oder auf EU-Ebene zu machen. Dann wären Vorschriften, wer eigentlich was genau zu tun hat, und Vorgaben, wie zum Beispiel eine Pensionskasse zu inves- tieren hat, eventuell gar nicht nötig. Die Zielsetzung würde individuell umgesetzt, was meines Erachtens effizienter ist. Hesse: Zumal wir aus meiner Sicht auch in Bezug auf das Setzen von Standards von einer Lösung noch weit entfernt sind. Ich beschäftige mich mit dem Thema Standard- setzung nun schon seit 15 Jahren. Und wenn Sie mich fragen, dann sind wir auch in Bezug auf eine EU-Taxonomie, die so etwas wie einen Standard ja eigentlich her- stellen soll, im Moment nicht wirklich gut unterwegs, was die bisher zurückgelegte Wegstrecke betrifft. Können Sie das etwas konkretisieren? Hesse: Das Setzen eines Standards braucht natürlich eine gewisse Zeit. Auf dem Gebiet der Finanzberichterstattung hat die Entwick- lung der IFRS-Standards insgesamt 25, wenn nicht 30 Jahre gedauert, bis man an dem Punkt war, an dem wir heute sind. Wenn man das als Maßstab für einen Stan- dard im Bereich Nachhaltigkeit heranzieht, dann würde ich sagen, dass wir heute viel- leicht im Jahr fünf, allenfalls im Jahr zehn sind, was die Vorgaben eines standardisier- ten Sets an Indikatoren angeht, auf dessen Grundlage dann jedes Unternehmen in sei- ner Branche zu berichten hätte. Idealerweise wird man diese Daten dann natürlich auf dem Bloomberg-System finden, das muss eigentlich das Ziel sein, das wir in den nächsten fünf bis zehn Jahren erreichen sollten. Aber müssen nicht solche nicht- finanziellen Kennzahlen schon seit dem Jahr 2003 in den Geschäfts- berichten großer Unternehmen aufgeführt werden? Hesse: Das Jahr 2003 war tatsäch- lich der Startpunkt, als eine ent- sprechende Vorschrift erstmals ins EU-Bilanzrecht aufgenommen wurde. Die offizielle Formulierung war Non-Financial Key Perfor- mance Indicators, die die Unter- nehmen berichten sollten. Damit waren damals schon Kennzahlen gemeint, die Umweltereignisse oder die Mitarbeiter betreffen. Aber sie müssen eben nur dann berichtet werden, wenn sie rele- vant für die entsprechende Ge- schäftsentwicklung eines Unter- nehmens sind. Ein Jahr später wur- de eine entsprechende Vorschrift auch in die Lageberichterstattung nach Handelsgesetzbuch aufge- nommen. Wenn man sich das Ergebnis bis heute anschaut, dann muss man sagen, dass es eher traurig aussieht. Denn bis heute, sprich: gut 15 Jahre später, haben erst zehn Prozent der europäischen Unter- nehmen tatsächlich solche Non-Financial Key Performance Indicators in einer ver- nünftigen und brauchbaren Art und Weise berichtet. 90 Prozent haben das bisher nicht getan in einem Markt, der inzwischen ja eigentlich lange genug reguliert ist. Wobei die Situation in den USA wie auch in Asien noch deutlich schlechter aussieht. In dieser Hinsicht besteht tatsächlich noch reichlich Luft nach oben. Damit wird aber auch eines deutlich: Es reicht nicht aus, ESG und Öko- nomie in Einklang zu bringen. Es geht zu- sätzlich auch immer um die Relevanz nach- haltigen Wirtschaftens. Muss man also befürchten, dass wir in eine Situation geraten, in der einerseits auf Investoren eine enorme Zusatzbelastung durch eine zusätzliche EU-Regulierung in Bezug auf die Integration von ESG-Krite- rien in die eigene Kapitalanlage zukommt und uns dennoch andererseits in gewisser » Wir haben durchaus noch eine realistische Chance, das Klimaziel von 1,5 Grad zu erreichen. « Tobias Reichmuth, SUSI Partners A L L E F OTO S : © COR N E L I S GO L L H A R D T 148 N o. 2/2019 | www.institutional-money.com THEOR I E & PRA X I S : ROUNDTABL E | NACHHALT IGKE I T

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