Institutional Money, Ausgabe 3 | 2017

natürlich Maßnahmen wie Quantitative Easing oder Negativzinsen setzen. Aber wenn zur gleichen Zeit eine Austeritäts- politik auf der fiskalischen Seite verfolgt wird, dann wird es nicht funktionieren, die Inflation wird nicht ansteigen. Sie haben in Ihrem Vortrag auf die Unter- schiede zwischen Zentralbanken wie der amerikanischen Federal Reserve und den Notenbanken in Großbritannien und Japan einerseits und andererseits der Europäi- schen Zentralbank hingewiesen. Haben wir im Euroraum ein Problem? Sims: Durchaus. Denn ein Szenario, wie es für die Europäische Zentralbank vorstellbar ist, existiert für die Notenbanken der drei erstgenannten Länder nicht. Ob eine EZB wirklich die Fähigkeit hätte, tatsächlich als sogenannter Lender of Last Resort aufzu- treten, ist jedenfalls fraglicher als bei den anderen Notenbanken. Denn nur wenn ein Land Schulden in seiner eigenen Währung aufnimmt, kann die Zentralbank diese Funk- tion übernehmen. Der eigentliche Grund, warum sich trotz der zuletzt wieder aufge- flammten Diskussionen über eine drohende Schuldenobergrenze niemand wirklich Sor- gen macht um die Zahlungsfähigkeit der USA, ist, dass die entsprechenden Anleihen in US-Dollar emittierte Papiere sind, was nichts anderes bedeutet, als dass die US- Regierung über die eigene Notenbank Geld drucken kann, um ihren Verpflichtungen nachzukommen. Die EZB dagegen kann nicht im eigenen Namen Schuldpapiere emittieren, zumindest ist das in den Grund- sätzen nicht vorgesehen. Wenn Sie Kapital benötigt, muss sie das von den am Euro- raum beteiligten Regierungen nach dem da- für vorgesehenen Kapitalschlüssel bekom- men. Deshalb kann niemand sagen, wie der fiskalische Rückhalt aussehen würde in dem unwahrscheinlichen Fall, dass die EZB die- sen Rückhalt wirklich benötigen würde. Und wie ich in meinem Vortrag hier in Lin- dau gesagt habe, gibt es durchaus ein Sze- nario, in dem dieser Fall eintreten könnte. Ist der Euro in Gefahr? Sims: Der Euro ist im Grunde seit seiner Einführung in Gefahr (lacht). Weil es einen unterliegenden Widerspruch gibt: Die EZB wurde gegründet mit dem Gedanken, dass es in einer Konstruktion, wie wir sie heute haben, in der die EZB unabhängig agiert, in der es ihr verboten ist, mit einzelnen Staaten in Kontakt zu sein, gewissermaßen automatisch zu einer stabilen Inflationsent- wicklung kommen würde. Und dass es des- halb auch keinen Grund geben würde, dass sie mit Einzelstaaten in Kontakt tritt. Aber das stimmt eben nicht, Es gibt nun einmal immer Situationen in der Geldpolitik, in denen es unbedingt einer Einbeziehung der Fiskalpolitik bedarf. Jede Aktion im Sinne eines Lenders of Last Resort hat fiskalische Implikationen, weil damit unter Umständen das Risiko verbunden ist, dass Ansprüche an die Staaten aufkommen, denen die No- tenbank gehört. Das trifft im Übrigen auch auf Draghis berühmt gewordene Wendung „Whatever it takes“ zu. In den Originalver- trägen zur Gründung der EZB ist man da- von ausgegangen, dass ein solcher Fall nie- mals eintreten würde. Nach der ursprüng- lichen Vorstellung aller Beteiligten, nachzu- lesen in den Originaldokumenten zur Grün- dung der Europäischen Zentralbank, sollte die EZB niemals Anleihen kaufen. Aber ge- nau das tut sie jetzt. Deshalb musste man einen Weg finden, dies trotz der ursprüng- lichen Verträge zu rechtfertigen, indem man beteuert hat, dass geschehe nicht zur Staats- finanzierung, sondern aus monetären Über- legungen heraus, was ja durchaus stimmt. Aber dazu bedurfte es eines gewissen poli- tischen Entgegenkommens der Euro-Mit- gliedsstaaten. Und es sind andere Situatio- nen denkbar, in denen man in der einen oder anderen Form der Interaktion zwischen Notenbank und einer staatlichen Institution bedarf. Nur gibt es im Falle der EZB eben keine solche staatliche Institution. Das stellt eine permanente Gefahr für den Euro dar, auch wenn man es bisher geschafft hat, Schlimmeres zu verhindern. Wir danken für das Gespräch. HANS HEUSER » Der Euro ist im Grunde seit seiner Einführung in Gefahr. « Christopher Sims, Nobelpreisträger, Princeton University 54 N o. 3/2017 | www.institutional-money.com THEOR I E & PRA X I S : CHR I STOPHER S IMS | PR INCETON UNI VERS I TY A L L E F OTO S : © CH R I S T I A N F L E MM I NG

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