Institutional Money, Ausgabe 3 | 2017

Draghis, warum die Intervention der EZB am Ende zu einer Art „gutem“ Gleichge- wicht geführt und ein „schlechtes“ verhin- dert hat. Wobei in beiden Fällen die jewei- lige Annahme korrekt gewesen wäre. Oder anders gesagt: Es passiert das, was die über- wiegende Zahl der Marktteilnehmer erwar- tet (lacht). Sie haben zudem über die Modelle gespro- chen, die Notenbanken für ihre Analysen und Prognosen einsetzen. Hat sich daran nach der Finanzkrise etwas geändert? Gibt es neue, sinnvollere Modelle? Sims: Auch Zentralbanker haben natürlich die Möglichkeit von multiplen Gleichge- wichten schon vor langer Zeit durchaus an- erkannt. Allerdings haben die Notenbanken eigentlich schon immer auf Modelle gesetzt, die sich auf eine Art Kernszenario oder Gleichgewicht stützen, auf das sie fokussie- ren, um damit zu prognostizieren, welche Auswirkungen eine Entscheidung innerhalb dieses Szenarios haben wird. Andere Szena- rien oder Möglichkeiten, die sich aus der im- mer vorhandenen Multiplizität von Gleich- gewichten ergeben, bleiben sozusagen im Hintergrund. Auch die Entscheidungen der EZB in Bezug auf die sogenannten Quan- titative-Easing-Maßnahmen waren nicht darauf gestützt, dass das schon einfach der richtige aus einer Reihe verschiedener mög- licher Beschlüsse sein würde. Es war mehr eine Entscheidung, die davon ausgegangen ist, dass sich die Wirtschaft in Euroland und damit auch der Euro eventuell in der Über- gangsphase hin zu einer Art „schlechtem“ Gleichgewicht befinden könnten. Kann man unterscheiden zwischen Model- len, die vor, und solchen, die nach der Finanzkrise eingesetzt wurden? Sims: Das ist nicht ganz einfach zu fassen. Im Grunde hatte sich vor der Krise eine Art Konsens herausgebildet, der dazu geführt hat, dass man sich in den Notenbanken insbe- sondere auf ein bestimmtes Modell gestützt hat, das im Englischen als New Keynesian Dynamic Stochastic General Equilibrium Model, kurz DSGE, bezeichnet wird. Ver- einfacht gesagt ist das ein Standardansatz bei makroökonomischen Analysen, der sich auf dynamische Wahrscheinlichkeitsannah- men stützt. Im Prinzip war das durchaus erfolgreich, denn solche Modelle haben Ökonomen und Zentralbankern geholfen, beim Vorliegen neuer Daten nicht nur bes- ser zu verstehen, welche Richtung die wei- tere Wirtschaftsentwicklung nehmen würde, sondern auch welche möglichen Konse- quenzen unterschiedliche Maßnahmen in der Geldpolitik haben würden. Wo liegt dann das Problem? Sims: Darin, dass solche DSGE-Modelle zwar wichtige Faktoren wie die Entwick- lung von Inflation, Bruttoinlandsprodukt und Arbeitsmarkt im Fokus hatten, nicht aber die Entwicklung des Finanzsektors und der Finanzmärkte. Deshalb geht heute eine Reihe von Ökonomen davon aus, dass der große Erfolg dieser Modelle dazu beigetra- gen hat, dass es überhaupt zu einer Finanz- krise kommen konnte. Was spräche denn für diese Annahme? Sims: Zumindest einmal die Feststellung, dass die Volkwirtschaften in aller Welt in den achtziger und neunziger Jahren des » Auch Zentralbanker haben natürlich die Möglichkeit von multiplen Gleichgewichten schon vor langer Zeit durchaus anerkannt. « Christopher Sims, Nobelpreisträger, Princeton University 48 N o. 3/2017 | www.institutional-money.com THEOR I E & PRA X I S : CHR I STOPHER S IMS | PR INCETON UNI VERS I TY A L L E F OTO S : © CH R I S T I A N F L E MM I NG

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