Institutional Money, Ausgabe 3 | 2017

Christopher Sims: Dazu vielleicht eine grund- sätzliche Anmerkung: Wir wissen aus den umfangreichenArbeiten von Paul Samuelson, dass durchaus die Möglichkeit besteht, dass zum Beispiel Geld – besser gesagt Papier- geld, wie wir es alle täglich benutzen – einen Wert hat, ohne dass dahinter ein echter, realer Wert oder ein Nutzen stehen würde. Geld hat nur deshalb einen Wert, weil es als Zahlungsmittel akzeptiert wird, obwohl im Grunde kein intrinsischer Wert oder Nut- zen damit verbunden ist. So simpel das auf den ersten Blick erscheinen mag: Das ist zunächst einmal eine sehr wichtige Erkennt- nis. Die Theorie vom multiplen Gleichge- wicht besagt nun, dass auf der Grundlage dieser Erkenntnis durchaus eine Welt oder eine Situation vorstellbar ist, in der alle Marktteilnehmer mit einem Mal entschei- den, dass das Papier, auf dem das Geld ge- druckt ist, im Grunde eben nichts wert ist. Dann hätten wir ein echtes Problem, denn es gäbe kein allgemein anerkanntes Zah- lungsmittel, und es gäbe auch keine Geld- schöpfung in dieser Welt. Aber es gibt wie gesagt auch ein Gleichgewicht, in dem jeder an einen Wert von Geld glaubt. Das ist im Prinzip die einfachste, simpelste Erklärung, was man mit dem Begriff „multiples Gleichgewicht“ auszudrücken versucht. Aber wie lässt sich dieses einfache Bild nun auf die Problematik übertragen, vor der die Politik von Notenbanken derzeit Ihrer Ansicht nach steht? Sims: Auch hier haben wir es mit multiplen Gleichgewichten zu tun, insbesondere in der jüngsten Zeit ist das sehr präsent. Das be- trifft unter anderem die Möglichkeit, über die Mario Draghi in seiner Eröffnungsrede hier in Lindau gesprochen hat. Darin hat er sich über eine Redenominierung der Staats- verschuldung von Italien und Spanien be- sorgt gezeigt. Der Grund, warum diese Staaten höhere Zinsen für ihre Staatsanlei- hen zahlen mussten und müssen, besteht nicht nur in der am Markt angenommenen Gefahr, dass diese Länder eventuell den Euro verlassen müssten. Darüber hinaus müssten Marktteilnehmer fürchten, dass es, wenn dieser Fall einträte, sehr schwierig für diese Länder werden könnte, ihre Anleihen- schulden überhaupt zurückzuzahlen. Zu- mindest müssten sie dann in einer anderen Währung zurückgezahlt werden. Wenn nun aber alle Marktteilnehmer davon ausgehen, dass ein solches Szenario möglich ist, dann würden die Zinsen, die sie zahlen müssten, mit Sicherheit steigen. Diese höheren Zin- sen aber würden natürlich die Haushalts- situation dieser Länder verschlechtern, eventuell sogar so stark, dass es unmöglich werden würde für diese Länder, ein Verlas- sen des Euroraums zu verhindern, sie müss- ten in die Insolvenz gehen. Aber was hat das mit multiplen Gleichge- wichten zu tun? Oder wollen Sie einfach sagen, dass immer das passiert, was alle Leute glauben? Sims: Im Grunde ist das tatsächlich so. Es kann durchaus zum einen ein Gleichge- wicht geben, in dem alle glauben, dass diese Länder insolvent werden. Wenn alle Markt- teilnehmer etwas glauben, dann wird es auch so kommen. Aber wenn jeder davon ausgeht, dass der Insolvenzfall nicht eintritt, dann hat das den Effekt, dass die Zinsen niedrig bleiben, und gleichzeitig bleibt die Möglichkeit bestehen, dass zum Beispiel Italien seine Schulden nicht nur tragen, son- dern nach und nach abtragen kann. Das ist es eigentlich, was Draghi dem Publikum hier nahebringen wollte, nämlich, dass die Aufkäufe von Schuldpapieren von Italien wie auch anderer Staaten einfach nötig war, um zu verhindern, dass zum Beispiel Italien eine Art zu hoher „Zinsstrafe“ zahlen müss- te, die es dem Land nicht mehr erlaubt hätte, seinen Zahlungsverpflichtungen nach- zukommen. Das war die Begründung » Wenn alle Marktteilnehmer etwas glauben, dann wird es auch so kommen. « Christopher Sims, Nobelpreisträger, Princeton University 46 N o. 3/2017 | www.institutional-money.com THEOR I E & PRA X I S : CHR I STOPHER S IMS | PR INCETON UNI VERS I TY A L L E F OTO S : © CH R I S T I A N F L E MM I NG

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