Institutional Money, Ausgabe 3 | 2017

Jahr zuvor getroffen werden, rasseln die Quoten in den Keller. „Annualisierte Ab- wertungsraten stellen also eine adäquate Definition für Währungskrisen dar, das Hin- zufügen weiterer Variablen ist nicht notwen- dig“, erklärt Emin. Theorie zerschellt an Praxis Analysiert man die Auswertung gründ- lich, werden Schwächen deutlich. Nicht bei der Prognose der tatsächlich eingetretenen Krisen; Diese Subprognosen-Stärke liegt bei 63,1 Prozent – immerhin besser als würfeln. Es werden aber auch 2.298 Perioden ge- zählt, in denen es zu keiner Währungskrise kam. Das ist an sich beruhigend. Allerdings haben die Frühwarnregressionen in 1.153 von 2.298 Fällen fälschlicherweise eine anstehende Währungskrise gemeldet. In nur 1.145 Perioden sind die Warnglocken stumm geblieben. Man stelle sich dieses Szenario in der Realität vor: ein Wirtschafts- forschungsinstitut, das 1.340-mal bei der Re- gierung anruft und vor einer Währungskrise warnt, wobei es sich 1.153-mal um falschen Alarm handelt. Dem Institut stünde wohl ein ähnliches Schicksal bevor wie dem Jungen, der zum Spaß „Ein Wolf, ein Wolf!“ ruft. Sehen wir uns nun das scheinbar erfolg- reichere Modell – gemäß EMP-Index mit variierenden Standardabweichungen – an. Dessen Prognosen liefern bessere Ergebnis- se. Sie liegen kontinuierlich bei über 50 Pro- zent und korrelieren mit der Standardab- weichung. „Unsere Analyse zeigt, dass die Erhöhung des Multiplikators der Standardabweichung von eins auf drei die Prognosekraft des Modells erhöht, weil es zu weniger falschen Alarmen kommt.“ Das stimmt in der Theorie. Im Gedankenexperiment sieht es aber wieder anders aus. Denn die Erhö- hung der Standardabweichung bei den Einzelvariablen bedeutet ja eigentlich nur, dass die Definition einer Währungskrise extremer ge- fasst wird – beispielsweise in Form ausnehmend hoher Inflationsraten. Entsprechend wenige Krisenfälle werden bei einer dreifachen Stan- dardabweichung gemeldet: 57. Die EWS-Regressionen schlagen 39- mal korrekt an. Das ist kein schlechter Prozentsatz. Allerdings gibt es auch 767 Fehlalarme. Das ist zugegebenermaßen weniger als bei dem Modell, das die 15-Prozent-Abwertung misst und 1.135-mal fehlerhaft ausschlägt. In Relation zu den tatsächlichen Krisen schlägt das EMP-Modell aber deutlich öfter mit einem Fehlalarm aus. 95 Prozent der Anrufe unseres imaginären Wirtschaftsfor- schungsinstituts sind also „Ein Wolf!“-Rufe, im Falle des reinen Abwertungsmodells sind es „nur“ rund 90 Prozent. Den Autoren der Studie kann man hier keinen wirklichen Vorwurf machen, bewe- gen sie sich doch im akademischen Rah- men, wonach die gesamte Prognosekraft eines Modells über Validität oder Nutzlo- sigkeit entscheidet. Dieser Wert ergibt sich daraus, wie oft die EWS-Regressionen Kri- sen- und Nicht-Krisen-Episoden vorhersa- gen. Und wenn eine solches Modell bei 1.695 möglichen Fehlalarmen nur 767 mel- det, dann ist das eben eine akademisch gute Nachricht, der praktische Nutzen bleibt aber überschaubar. Wenn allgemein gebräuchliche Regres- sionen für den praktischen Einsatz also nur sehr eingeschränkt verwendbar sind, egal wie die Krisendefinition aussieht, stellt sich die Frage, ob es auch andere Methoden gibt und wie diese aussehen. Alternativen Ein solches alternatives System verwen- den die bereits erwähnten Autoren der Stu- die „The Effects of Brexit on the Pound“. Wir erinnern uns: Unmittelbar nach dem überraschenden Leave-Entscheid stürzte das Pfund gegenüber dem Dollar bis zum 27. Juni auf 1,315 ab, was wiederum dem tiefsten Stand seit 1985 entsprach. Tagesver- luste von bis zu zehn Prozent erschütterten den Markt, die Verwerfungen waren schlim- mer als bis zum „Schwarzen Montag“ 1992, als die britische Währung aus dem Euro- päischen Wechselkursmechanismus flog. Hätte man diese Entwicklung vorherse- hen können? Immerhin lag der Großteil der Währungshändler im Vorfeld der Entschei- dung daneben. Die Antwort der Autoren: Man hätte. Allerdings unter Zuhilfenahme recht mächtiger und aufwendiger Analyse- tools, die maschinelles Lernen, also künst- liche Intelligenz, involvieren. Die zugrunde- liegenden Daten stammen außerdem nicht aus den volkswirtschaftlichen Datenbanken des IWF, sondern aus dem Economic Policy Uncertainty (EPU) Index. Die Wechselkurse kommen aus den Datensets der Federal Re- serve Bank of St. Louis. Der Unsicherheits- index selbst wurde von Baker et al. im Jahr 2015 entworfen. Ausgewertet wird die rela- tive Häufigkeit, mit der Begriffe wie „Un- sicherheit“, „Defizit“ oder „Notenbank“ in den Medien fallen. Aktuelle Daten zum Thema sind übrigens online unter www. policyuncertainty.com in Echtzeit einsehbar. Auf Basis dieser Datensätzen haben die Autoren der Studie ein Prognosemodell, ba- sierend auf der Stützvektormethode (SVM), entworfen. Bei dieser Form des maschinel- 156 N o. 3/2017 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S : WÄHRUNGS KR I S EN Politische Unsicherheit im Wandel der Zeit Wer dachte, dass 9/11 dem Vereinigten Königreich die höchste politische Unsicherheit beschert hat, irrt. Der Chart zeigt die Entwicklung des allgemeinen britischen Unsicherheitsindex in Relation zum Brexit-Unsicherheitsindex. Finanzökonomen versuchen sich anhand dieser Kennzahlen an Prognosen zum Kurs der Landeswährung Pfund. Quelle: Studie 0 100 200 300 400 500 2000 2002 2001 2003 2005 2004 2006 2008 2007 2009 2011 2010 2012 2014 2013 2015 ’16 Poltischer Unsicherheitsindex 9/11 und Afghanistan 2. Golfkrieg Northern Rock & Globale Finanzkrise Lehman & Finanzkrise Wahlen Euro-Krise Schottisches Unabhängigkeits- Referendum Brexit Wirtschaftspolitische Unsicherheit gesamt Brexit/EU Unsicherheit

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