Institutional Money, Ausgabe 3 | 2017

Bei Silbermünzen waren es bis zu 2,5, bei Goldmünzen bis zu zwei Prozent. Die Guthaben selbst wurden in Bankgeld, dem sogenannten Florin Banco, einer phy- sisch nicht existierenden Währung, ausge- drückt und waren durch Handelsmünzen, also hochwertige Silber- oder Goldprägun- gen, oder Edelmetallbarren gedeckt. Durch die Einführung einer Rechnungswährung – wir erinnern uns an den ECU – wurde das Risiko einer Münzverschlechterung durch einen geringeren Edelmetallgehalt und eine damit einhergehende Wertminderung ver- hindert. Das Problem: Stieg die Kaufkraft der Münzen etwa aufgrund eines höheren Gold- oder Silberpreises, konnten die Depothalter ihre Konten relativ gesehen günstiger auf- lösen beziehungsweise zurückkaufen. Um solcherart Verluste zu vermeiden, führte die Bank ein Agio ein, das den Florin Banco gegenüber dem Florin Kurant – also dem tatsächlich im Umlauf befindlichen Geld – aufwertet. Ähnlich wie manche moderne Zentralbanken einen bevorzugten Wechsel- kurs anstreben, versuchte die Notenbank über Marktinterventionen, das Agio zwi- schen vier und fünf Prozent stabil zu halten. Plötzlich Zentralbank, plötzlich Nullzins Im Jahr 1683 nahm die Wisselbank Reformen in Angriff, an deren Ende offi- ziell ein nullzinsähnliches Regime stehen und sie die beiden wichtigste Kriterien einer Notenbank modernen Verständnisses erfül- len sollte: Sie befand sich in öffentlichem Eigentum und sie verwaltete Fiat- Geld. Die zweite Eigenschaft hatte sie bis dahin nicht erfüllt. Denn die hinterlegten Sicherheiten konnten jederzeit von den Kontoinhabern abgezogen werden. Der Bank-Gul- den war also zumindest in der Theo- rie zu hundert Prozent gedeckt. 1683 führte die Bank jedoch das Belegfenster ein. Neue Depots wur- den mit einem Beleg ausgestattet. Dieser war mit einer Laufzeit von sechs Monaten ausgestattet und auf einem Sekundärmarkt frei handelbar. Innerhalb dieser sechs Monate muss- te das Depot gegen eine neue Auf- lösungsgebühr von nur mehr 0,25 Prozent aufgelöst werden, konnte aber auch zum selben Satz rolliert werden. Diese Strategie erinnert an die Repo-Aktionen moderner Zentralbanken. Womit wir für die Zeit von 1683 bis zum Zusammenbruch des Regimes auf einen annualisierten Repo-Zinssatz von 0,5 Pro- zent kommen. Also mehr als ein Jahrhun- dert de facto Nullzins. Aufgelöst konnten die Konten von ihren Inhabern nur werden, wenn sie den Beleg noch hatten. Hatte der Inhaber – in der Regel ein Kaufmann oder eine der vielen Handelsbanken, die als Intermediäre auftra- ten – den Beleg jedoch weiterverkauft, also als Geld verwendet, konnte er sein Konto nicht mehr auflösen. Die Partei, die den Beleg in Händen hielt, durfte das genauso- wenig. Weitere begleitende Maßnahmen verhinderten de facto das Abziehen der hinterlegten Handelsmünzen, die direkte Deckung des Amsterdamer Bank-Gulden war somit faktisch aufgehoben und die Ent- wicklung Richtung Fiat-Geld abgeschlos- sen. Die – in welcher Form auch immer gelagerten – Metallbestände wurden frei für den Eigenhandel, da sie ja nicht mehr rekla- miert wurden. Aus diesem Trading schöpfte die Bank dann auch einen großen Teil ihres Gewinns. Ein weiterer Teil des Gewinns kam aus der Kreditvergabe. Große Kreditnehmer waren die niederländische Ostindien-Kom- panie, ausgewählte Individuen und als Son- derfall die Stadt Amsterdam, wobei Letztere keine Zinsen zahlte. Die Kompanie-Kredite waren insofern bemerkenswert, als sie eigent- lich nicht in den Statuten vorgesehen waren, aber trotzdem gewährt wurden. Die Vergabe dieser Kredite erfolgte zunächst anlassbezo- gen, dann jedoch automatisch. Und sie blie- ben über ein Jahrhundert eines der bestge- hüteten Geheimnisse des Landes. Bemerkenswert auch die Funktion des bereits erwähnten Sekundärmarktes: In die- sen griff die Notenbank nicht nur, aber auch in Krisenzeiten ein, indem sie Bankgeld- liquidität zuführte oder abzog. Durch diese Markteingriffe sollte zum einen Liquidität sichergestellt, zum anderen aber auch das Agio von Bankgeld zu Kurantgeld im an- gestrebten Bereich von vier bis fünf Prozent gehalten werden. Dies tat sie über den Kauf oder Verkauf von Handelsmünzen, in Son- derfällen wie im Krisenjahr 1763 auch über den Handel mit Edelmetallbarren. Für das Bankgeld, das auf diese Art und Weise in Umlauf kam, wurde kein Beleg ausgestellt. Die Handelsmünzen beziehungsweise das Edelmetall konnten demzufolge vom Halter des Bankgeldes nicht mehr zurückgetauscht werden. Als Sicherheit galt nur noch die Zu- sage der Stadt Amsterdam, also der Eigen- tümerin der Bank – Fiat-Geld eben. Zeitreise Doch wie funktionierten nun die Markt- interventionen konkret? Quinn et al. haben anhand der vorhandenen Datenlage diverse Ansätze verfolgt, um typische Marktinter- ventionsstrategien der Bank nachzuvollzie- hen. Am anschaulichsten erscheint dabei die Verwendung eines vektorautoregressiven Modells (VAR-Modell). Die Autoren haben hier die Variablen des Agios, den Wechsel- diskont sowie die Mengen an gedecktem und ungedecktem Bankgeld sowie Bank- geld, das durch Kredite gedeckt war, berücksichtigt. Das VAR-Modell bleibt restriktionsfrei und wird auf- grund der einfachen Kleinstquadrat- methode geschätzt. Damit ist es re- lativ einfach gehalten, ebenfalls muss einschränkend gesagt werden, dass „die Fluktuationen des unge- deckten Bankgeldes durch andere Faktoren als die Offenmarktpolitik der Bank beeinflusst wurden, das VAR-Modell also keine komplett saubere Lesart der Notenbankpolitik zulässt“, wie die Autoren selbst durchaus freimütig einräumen. Die Ergebnisse ermöglichen trotz der genannten Unschärfe eine ziem- lich faszinierende Zeitreise in die Geldpolitik des 18. Jahrhunderts – 144 N o. 3/2017 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S : NUL L Z I NS PHA S EN Inflation blieb konstant Konstant niedrige Teuerungsraten waren die Basis für den Nullzins. Mit der Gründung der Wisselbank 1608 stabilisierte sich die Teue- rungsrate, da das Vertrauen in den Florin stieg. Im Beobachtungszeitraum (blauer Balken) kam es sogar zu einer Deflation, wie die Preishistorie zeigt. Quelle: Studie Punkte 4,5 5,0 5,5 6,0 6,5 7,0 Beobachtungs- zeitraum 4 1500 1540 1580 1620 1660 1700 1740 1780 1 Inflation Inflation/Trend Gründung der Wisselbank

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