Institutional Money, Ausgabe 3 | 2017

142 N o. 3/2017 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S : NUL L Z I NS PHA S EN W ir schreiben den 10. Sep- tember anno domini 1763. Benjamin Veitel Ephraim, ein aufstreben- der, aber unter Druck stehender preußischer Händler, gerade einmal 21 Jahre alt, bewegt sich durch das Gassenwerk von Amster- dam. Wahrscheinlich ist er nervös – und das nicht zu Unrecht. Denn er begleitet eine Karawane, die Silber im Gegenwert von 193.732 Florin geladen hat. Die in Fässern transportierten Bar- ren wiegen knapp zwei Tonnen und stellen die Sicherheit dar, die der spätere Hoffaktor Friedrichs des Großen hinterlegen muss, um Schulden bei vier einflussreichen Amsterdamer Bankiers zu beglei- chen. Abwickeln wird die Trans- aktion die Bank von Amsterdam, in Europa die erste Inkarnation einer funk- tionstüchtigen Notenbank. Die Bank hat ein Transaktionsfenster geöffnet, das es ermög- licht, Silber gegen Bank-Gulden zu tauschen – das wichtigste Zahlungsmittel Europas. Außergewöhnliche Maßnahme Dieses Transaktionsfenster stellt einen außergewöhnlichen Schritt dar. Denn eigentlich akzeptiert die Bank seit Jahr- zehnten vor allem möglichst reine Gold- und Silbermünzen als Sicherheiten. Doch wir schreiben 1763: Das Finanz- system Hollands und des nördlichen Europa droht nach dem Platzen einer Spekulationsblase im Getreidemarkt zu kollabieren, Banken trauen einander nicht mehr, Liquidität ist kaum zu fin- den, nachdem sich diverse, mitunter recht flamboyant auftretende Händler am Rohstoffmarkt über gehebelte Trans- aktionen übernommen hatten und Bank- rott anmelden mussten. Also schreitet die Bank von Amsterdam ein und führt dem Markt Liquidität zu. Klingt vertraut? Erinnert vielleicht an das Jahr 2008? Absolut richtig. Doch es gibt auch Unterschiede zu 2008. Denn eine der ersten Maßnahmen, die die Notenbanken weltweit im Krisenjahr des 21. Jahrhunderts setzten, war, die Zinsen zu senken – wie wir wissen, auf null, teilweise sogar mit Strafzinsen. Als „beispiellos“ wurden die Maßnahmen bezeichnet. Be- sorgt wurde auf die Bank of Japan geschielt, die bereits 1995 auf nahe null gegangen war. Dieser Tage fürchten Beobachter, Fed und EZB würden ihr Glück überstrapa- zieren. Ein Zinsanhebungszyklus müsse demnach jetzt – und deutlich – erfolgen, widrigenfalls könnten sich unbekannte Kon- sequenzen einstellen, so die Kritiker. Die Bankiers im Amsterdam des Jahres 1763 hätten angesichts solcher Sorgen wohl nur verwundert mit den Achseln gezuckt. Tat- sächlich tat die Bank von Amsterdam näm- lich eines nicht: die Zinsen senken. Wie auch? Sie befanden sich bereits bei de facto null. Und das seit 1683. Sie sollten es übri- gens noch bis 1795 bleiben. In der Literatur wird diese Periode mitunter auch als „Per- mazero“ bezeichnet. Statt hundert Jahren Einsamkeit also hundert Jahre Nullzins. Stellt sich die Frage: Wie funktioniert das? Und woran ist man letzten Endes dann doch gescheitert? Genau dieser Frage haben sich Stephen Quinn und William Roberds von der Fede- ral Reserve of Atlanta angenommen – und das gleich in Form von zwei wissenschaft- lichen Publikationen. „An Early Experiment Die Nullzinsperiode in Europa und den USA treibt Investoren und Ökonomen Schweißperlen auf die Stirn. Im Amsterdam des 17. und 18. Jahrhunderts war man da härter und zog ein ganzes Jahrhundert lang Nullzins durch. Erfolg und Ende des Regimes liefern wertvolle Lektionen für die Gegenwart. FOTO : © F ED R E S. AT L ANTA ; FOTOL I A | J UU L I J S » Post 2008 gilt oft als beispiellos. Tatsächlich gibt es nur wenige monetäre Phänomene, die das auch wirklich sind. « William Roberds von der Federal Reserve of Atlanta zu den beispielhaften Ereignissen im Amsterdam des Jahres 1763 100 Jahre Nullzins Starke Leistung: 150 Jahre Währungsstabilität Eineinhalb Jahrhunderte lang schaffte es die Wisselbank, den Kurs des Florin im gewünschten Korridor zu halten. Das Agio bildet den Preisaufschlag ab, den die niederländische Wisselbank für den virtuellen Bank-Florin im Vergleich zum Umlaufgeld verlangte. Damit sicherte man sich gegen Münzen mit niedrigem Edelmetallgehalt ab. Quelle: Studie -2 % -1 % 0 % 1 % 2 % 3 % 4 % 5 % 6 % Agio Angestrebtes Agio Siebenjähriger Krieg 4. Anglo- Niederländischer Krieg 1735 0 1740 1745 1750 1755 1760 1765 1770 1775 1780 1785 1790 C

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