Institutional Money, Ausgabe 4 | 2024
Prof. Hélène Rey: Sie haben natürlich völlig recht. Auch der Handel mit Waren hat sich in der Zeit zwischen 1980 und heute enorm erweitert.Das hat unter anderem dazu geführt, dass China in dieser Zeit zu einer sehr bedeutenden Han- delsmacht aufgestiegen ist, eine Rolle, die zuvor hauptsäch- lich den USA und Europa vorbehalten war. Auf den Handel bezogen sind es heute entsprechend die drei großen Blöcke USA, Europa und China, die die Welt dominieren. Im Fi- nanzbereich dagegen sind es nach wie vor die USA und der Dollar, die das Weltgeschehen dominieren, auch nach 1973. Sie meinen den Zusammenbruch von Bretton Woods, richtig? Prof. Hélène Rey: Ganz genau. Dass der US-Dollar in der Zeit zwischen 1944 und 1973 die dominierende Weltwäh- rung war, kann kaum verwundern. Denn die damals neu geschaffene internationale Währungsordnung basierte im Wesentlichen auf zwei Pfeilern: Zum einen vereinbarten alle teilnehmenden Länder feste Wechselkurse zum US-Dollar, gleichzeitig verpflichtete sich die US-Notenbank imGegen- zug, den Zentralbanken der Teilnehmerländer Dollar gegen Gold zu einem festen Kurs von 35 US-Dollar pro Feinunze einzutauschen. Die Vorherrschaft der amerikanischen Wäh- rung hielt aber auch nach dem Zusammenbruch von Bret- ton Woods im März 1973 weiter an, als man in der Folge zu einem Fiat-Währungssystem überging, und tut das im Grunde ja bis heute. Gab es denn Befürchtungen, dass sich die Rolle der US-Währung in der Folge verändern würde? Prof. Hélène Rey: Die gab es durchaus. Zumindest kamen in- nerhalb der US-Regierung zeitweise Befürchtungen auf, dass die Dominanz des Dollars innerhalb des internationalen Währungsgefüges gefährdet sein könnte. Heute wissen wir, dass das nicht der Fall war, imGegenteil: Die USA behielten in allen Dimensionen, die wir normalerweise in der inter- nationalen Finanzwelt messen, ihre absolute Vorherrschaft. Das stellt natürlich insofern ein Risiko dar, als der Großteil der gesamten Liquidität der verschiedenen Marktsegmente vom Devisenhandel über die internationale Emission von Schuldtiteln bis hin zur Fakturierung von Warenströmen nach wie vor in Dollar abgerechnet wird. Die US-Währung hat bis heute ihre Rolle als Ankerwährung behalten. Stellt sich Ihnen als Wissenschaftlerin nicht die Frage, warum es zu dieser Asymmetrie gekommen ist und vor allem, ob und wie lange sie noch anhält? Prof. Hélène Rey: Natürlich. Wobei vieles an Erklärungen geradezu auf der Hand liegt. Denn im Prinzip versteht na- türlich jeder sehr gut, dass der Dollar deshalb so bedeutsam bleibt, weil die in Dollar abrechnenden Marktsegmente sehr viel weiter entwickelt sind, sehr viel liquider und sehr viel breiter sind als andere Marktsegmente. Das ist ja für jeden Marktteilnehmer offensichtlich. Es gibt zudem eine gut funktionierende Infrastruktur für den Zahlungsverkehr, und es gibt nicht zuletzt einen riesigen Schuldenmarkt in Dollar. All das sind Phänomene, die sich gewissermaßen gegenseitig selbst verstärken. Wer Liquidität parken möchte, braucht einen liquiden Markt. Und wer Rohstoffe kaufen möchte, muss zumindest die Möglichkeit haben, in Dollar zu zahlen. Und wer investiert, möchte natürlich kein allzu großes Wechselkursrisiko eingehen. All das begünstigt die US-Wäh- rung bis zum heutigen Tag und verstärkt sich wie gesagt gleichzeitig selbst. Das erklärt, warum es wirtschaftlich gese- hen sehr schwer und unter Umständen vor allem teuer ist, wollte man sich diesemGleichgewicht entziehen. Es handelt sich vor allem um ein Gleichgewicht mit vielen externen Effekten. Wie meinen Sie das? Prof. Hélène Rey: Nehmen Sie zum Beispiel Liquidität als eine sehr bedeutende Externalität. Wenn Sie der Einzige sind, der von diesem Gleichgewicht abweichen möchte, dann ist das nicht gut für Sie, weil Sie mit enormen Trans- aktionskosten rechnen müssen und ein nicht kalkulierbares Risiko eingehen. Das wird so lange niemand tun, bis es eine entsprechende Koalition von ausreichend vielen Marktteil- 46 N o . 4/2024 | institutional-money.com THEORIE & PRAXIS | Prof. Hélène Rey | London Business School FOTO: © AMY BIRTCHNELL » Die Vorherrschaft der amerikanischen Währung hielt auch nach dem Zusammenbruch von Bretton Woods im März 1973 weiter an. « Prof. Hélène Rey, London Business School
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