Institutional Money, Ausgabe 4 | 2024

oder Interdependenzen, die auch die wissenschaftliche Aus- einandersetzung mit dem Problem so stark geprägt haben, dass daraus zwar relativ praktikable, aber eben sehr einfache Modelle entwickelt wurden, die sich auf mehr oder weniger simple Effekte beschränkt haben, die geldpolitisches Han- deln in Bezug auf Produktion, Stabilität und Inflation haben kann. Wir haben in unseren Arbeiten darauf hingewiesen, dass die Geldpolitik der großen Zentralbanken und insbe- sondere der Federal Reserve sehr viel weitreichendere finan- zielle Reibungsverluste mit entsprechend unterschiedlichen und unter Umständen eben nicht gewollten Auswirkungen hervorgebracht hat. Um es auf einen kurzen Nenner zu bringen: Die Welt hat sich sehr stark verändert, aber sie funk- tioniert eben immer noch nicht nach mehr oder weniger einfachen Modellen. Die Geld- und Kapitalströme sind in- zwischen viel zu groß und viel zu komplex, um sie in allzu simplen Modellen abzubilden. Wie steht es denn um die zeitliche Einordnung dieser Verände- rungen? Wann haben diese Veränderungen aus Ihrer Sicht begon- nen, wirksam zu werden? Prof. Hélène Rey: Einen Anhaltspunkt dazu bietet eine mei- ner Arbeiten, die ich gemeinsammit meinem langjährigen Co-Autor Pierre-Olivier Gourinchas, dem heutigen Chef- ökonomen des InternationalenWährungsfonds, bereits 2007 verfasst habe.Darin haben wir zum Beispiel die Veränderun- gen der außenwirtschaftlichen Positionierung der Vereinig- ten Staaten im Lauf der Zeit dokumentiert. ImGrunde geht es dabei um die Globalisierung der fortgeschrittenen Volks- wirtschaften in Bezug auf deren Finanzströme. Und da ist deutlich zu erkennen, dass die finanzielle Globalisierung be- reits in den 80er-Jahren begann, aber erst in den 90er-Jahren Fahrt aufgenommen hat, als die Finanzmärkte immer stär- ker dereguliert wurden und viele Schwellenländer began- nen, ihre jeweiligen Finanzmärkte zu öffnen und Kapital- kontrollen zunehmend abzubauen. In den fortgeschrittenen Volkswirtschaften etwa in Europa wurden solche Kapitalver- kehrskontrollen bereits sehr viel früher abgebaut. Mit welchem Effekt? Prof. Hélène Rey: Eine wichtige, wenn auch vielleicht nicht wirklich verwundernde Erkenntnis war: Sobald man be- ginnt, solche Kapitalkontrollen zu lockern und die Finanz- märkte zu liberalisieren, kommt es zu einem massiven Anstieg an grenzüberschreitenden Positionen. Und damit sind nicht nur grenzüberschreitende Positionen im Bank- wesen oder bei ausländischen Direktinvestitionen gemeint, sondern auch im Wertpapierbereich. Portfolioinvestitionen nehmen erheblich zu, ob es sich nun um Schuldtitel oder Aktien handelt. Das ist seit den 1990er-Jahren deutlich zu erkennen. Und das hat zu der Welt geführt, in der wir heute leben, einer sehr stark globalisierten Finanzwelt. Das gilt aber doch nicht nur für die Finanzmärkte, auch die Volumina der Waren- und Handelsmärkte haben doch seither einen enormen Zuwachs erfahren. Entdeckerin eines globalen Finanzzyklus Prof. Hélène Rey lehrt seit 2007 als Professorin für Volkswirt- schaftslehre an der London Business School. Vor ihrer Zeit in London war sie Professorin für Volkswirtschaftslehre und Inter- nationale Beziehungen an der Princeton University sowie an der Woodrow Wilson School, wo sie ihre akademische Lauf- bahn als Assistant Professor begonnen hat. In ihrer Forschung konzentriert sie sich auf die Bestimmungsfaktoren und Folgen von Handels- und Finanzungleichgewichten, die Theorie von Finanzkrisen und die Funktionsweise des internationalen Währungssystems. Sie konnte insbesondere zeigen, wie globale Finanzströme die nationale Geldpolitik beeinflussen und einschränken können. Rey hat eine Vielzahl von Auszeichnungen erhalten. Im Sommer dieses Jahres wurde ihr der vom Institut für Weltwirtschaft vergebene Bernhard-Harms-Preis verliehen. 44 N o . 4/2024 | institutional-money.com THEORIE & PRAXIS | Prof. Hélène Rey | London Business School FOTO: © AMY BIRTCHNELL » Die Welt hat sich sehr stark verändert, aber sie funktioniert eben immer noch nicht nach mehr oder weniger einfachen Modellen. « Prof. Hélène Rey, London Business School

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