Institutional Money, Ausgabe 4 | 2024
D ie Wahl von Donald Trump zum nächsten US- Präsidenten hat auch die Zinserwartungen in der Eurozone beeinflusst. Zunächst haben europäi- sche Anleihenmärkte dovish auf die Nachricht reagiert und für die EZB die Zinserwartungen für Juni 2025 um etwa 15 Basispunkte gesenkt. Die Möglichkeit weiterer geldpoliti- scher Lockerungen ist dabei wahrscheinlich auf die Aussicht zurückzuführen, dass Trumps Zollpolitik das Wachstum in Europa belasten könnte, wie es auch in einer entsprechen- den Analyse von Bloomberg heißt: „Unser Handels- und Klimateam hat verschiedene Zollszenarien analysiert und festgestellt, dass selbst bei 20 Prozent Zöllen auf US-Importe aus der restlichen Welt, mit entsprechender Vergeltung der Handelspartner, das BIP von Großbritannien und der EU bis 2028 nur um etwa 0,2 beziehungsweise 0,1 Prozent nied- riger wäre.Dies liegt daran, dass allgemeine Zölle die relative Wettbewerbsfähigkeit Europas kaum verändern. Dennoch könnten die Maßnahmen aufgrund fehlender Präzedenz- fälle disruptiver wirken als angenommen.“ Dilemma für die Notenbanken In Betracht gezogen werden muss, dass Zölle „einen Ange- botsschock für die Weltwirtschaft darstellen, da Handelsströ- me weniger effizient umgeleitet werden. Sollte Europa mit Vergeltungsmaßnahmen reagieren und die dadurch erziel- ten Einnahmen ausgeben, könnte dies inflationäre Folgen haben, die einen Zielkonflikt für die Zentralbanken schaf- fen“, so die Analyse weiter. Dieser Gefahr ist man sich auch bei der EZB bewusst, wie Vizepräsident Luis de Guindos nach der Wahl feststellte. Demnach ist der „erste Effekt von Zöllen eine höhere Inflation“. Die globale Wirtschaft könnte aus Sicht von de Guindos potenziell schädliche Schocks für Wachstum und Inflation erleben, falls Donald Trump die Art von Importzöllen umsetzt, die er während seines Wahl- kampfs angedroht hat. Die Wirtschaftsleistung würde demnach schwächer, der Preisdruck stärker, und etablierte Handelsströme würden ge- stört, sagte de Guindos Anfang November bei einer Veran- staltung in London. Die EZB werde die angekündigten Maßnahmen der neuen Regierung in ihre Prognosen ein- fließen lassen und dann entscheiden,wie darauf zu reagieren sei: „Wenn ein Markt wie die USA Zölle von 60 Prozent auf einen anderen wichtigen Markt – sagen wir China – erhebt, kann ich Ihnen versichern, dass die direkten und indirekten Auswirkungen sowie die Handelsumlenkungen enorm sein werden“, so de Guindos, dessen Kollegen in den vergange- nen Wochen ähnliche Warnungen ausgesprochen hatten. Entscheidender Moment Die EZB steht damit an einem entscheidenden Wende- punkt in der Festlegung ihrer Geldpolitik. Die Inflation hat sich schneller verlangsamt als erwartet, aber auch das Wirt- schaftswachstum hat an Dynamik verloren. Die Verantwort- lichen müssen nun entscheiden, ob die Zinssätze auf ein Ni- veau gesenkt werden sollten, das die Nachfrage unterstützt. De Guindos betonte in diesem Zusammenhang, dass die Entscheidungsträger „weiterhin datenbasiert vorgehen wer- den und besonders auf die Ergebnisse ihrer Bankkredit- umfrage achten, um zu bestimmen, ob die Finanzierungs- bedingungen stimulierend oder restriktiv wirken“. Er fügte hinzu, dass die Projektionen, die im nächsten Monat veröffentlicht werden sollen, voraussichtlich nicht wesentlich von denen abweichen werden, die im September erstellt wurden. De Guindos argumentierte weiter, dass es Zeit brauche, um die Auswirkungen von Trumps Handels- Angesichts einer schwierigen Gemengelage hat Institutional Money eine Einordnung der EZB-Positionen und Abstimmungen im Jahr 2025 vorgenommen. Wer gehört zu den Tauben, wer zu den Falken, wer steht dazwischen? Von Falken und Tauben 110 N o . 4/2024 | institutional-money.com THEORIE & PRAXIS | Porträt EZB Hier geht es zum Tauben-Falken- Ranking von Econostream: im-online.com/ ECO424 » Wenn ein Markt wie die USA Zölle von 60 Prozent auf einen anderen wichtigen Markt – sagen wir China – erhebt, kann ich Ihnen versichern, dass die (…) Auswirkungen sowie die Handelsumlenkungen enorm sein werden. « Luis de Guindos, Vizepräsident EZB
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