Institutional Money, Ausgabe 4 | 2024

bei den Vereinten Nationen misst. Die Distanzwerte reichen von „–1“ – also vollständige Übereinstimmung – bis „+1“ – also maximale Abweichung – und erlauben eine systemati- sche Quantifizierung geopolitischer Spannungen. Neben der geopolitischen Distanz werden zusätzliche Kontrollvariablen, sogenannte „Gravity Controls“, integriert. Dazu gehören geografische Entfernung, gemeinsame Spra- che, gemeinsame koloniale Vergangenheit, gemeinsame Religion und direkte Nachbarschaft. Diese Variablen dienen als Indikatoren für die ökonomische und kulturelle Nähe zwischen Ländern. Untersuchung der Investmentflüsse Die abhängige Variable des Modells ist der Anteil des Port- folios, den Investmentfonds eines Herkunftslandes in einem Empfängerland allokieren. Um potenzielle Endogenitätspro- bleme zu adressieren – etwa die Möglichkeit, dass Investitio- nen selbst die geopolitische Distanz beeinflussen könnten –, werden Instrumentalvariablen eingesetzt. Die Demokratieindizes der Länderpaare dienen hierbei als Instrumente, da diese mit geopolitischer Distanz zusam- menhängen, aber unabhängig von Kapitalflüssen sind. Zu- sätzlich wird die Robustheit der Ergebnisse durch alternative Distanzmaße überprüft, darunter der π-Score nach Häge und der Ideal-Point-Distance-Score (IPD) von Bailey et al. Alle drei Maße zeigen eine hohe Korrelation und liefern ähnliche Ergebnisse, was darauf hinweist, dass die Analyse in hohemMaße verlässlich ist (siehe Darstellung „Charts der Ent- fremdung“) . Das Modell wird auf Daten von Emerging Port- folio Fund Research (EPFR) angewendet, die umfassende Informationen zu grenzüberschreitenden Portfolioinvestitio- nen einschließlich Aktien- und Anleiheninvestitionen lie- fern. Ergänzend werden Daten aus der CEPII Gravity Data- base und von UN-Voting-Datenbanken genutzt, um die geo- politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Ländern präzise abzubilden. Resultate Die empirischen Ergebnisse der Analyse zeigen nun konsis- tent, dass geopolitische Distanz einen negativen und signifi- kanten Einfluss auf die Allokationsentscheidungen von Fonds hat. Fonds investieren kleinere Anteile ihrer Portfolios in Länder, die politisch und diplomatisch weiter von ihrem Herkunftsland entfernt sind. Die Baseline-Regressionen, geschätzt mit dem Poisson-Pseudo-Maximum-Likelihood- Verfahren (PPML), weisen nach, dass eine Erhöhung der geopolitischen Distanz um eine Standardabweichung die bilateralen Aktieninvestitionen um etwa 25 Prozent redu- ziert. Dieser Effekt ist robust und auch im Anleihenbereich nachweisbar (siehe Grafik „Gravitationseffekte im Investment- universum“) . HANS WEITMAYR Krisenrelevanz aus Marktsicht Ein Blick darauf, wie die US-Märkte das Ausmaß von Krisen einschätzen Ein Vergleich der Auswirkungen zweier unterschiedlicher Krisen zeigt, dass die große Finanzkrise deutlich größere Auswirkungen auf die US-Märkte hatte als die größte geopolitische Krise des 21. Jahrhunderts – und das obwohl lineare und nonlineare geopolitische Risikofaktoren (rot und blau) im Fall der Russland-Invasion deutlich ausgeprägter sind als im Fall der Finanzkrise. Quelle: EZB Russlands Invasion in der Ukraine VIX Jan 2022 -20 0 20 40 60 80 100 120 S&P 500 -30 -25 -20 -15 -10 -5 0 Industrieproduktion -3 -2 -1 0 1 2 CPI 0 1 2 3 4 Konsum -2 -1.5 -1 -0.5 0 0.5 Zinsen (int.) -2 0 2 4 6 8 Große Finanzkrise VIX 0 100 200 300 400 S&P 500 -60 -50 -40 -30 -20 -10 0 10 Industrieproduktion -20 -15 -10 -5 0 5 CPI -10 -8 -6 -4 -2 0 2 Konsum -8 -6 -4 -2 0 2 Zinsen (int.) -4 -3 -2 -1 0 Jan 2023 Jan 2022 Jan 2023 Jan 2022 Jan 2023 Jan 2009 Jan 2010 Jan 2009 Jan 2010 Jan 2009 Jan 2010 Jan 2009 Jan 2010 Jan 2009 Jan 2010 Jan 2009 Jan 2010 Jan 2022 Jan 2023 Jan 2022 Jan 2023 Jan 2022 Jan 2023 GPR Nonlinear GPR Linear Residual Kumulierte Veränderung N o . 4/2024 | institutional-money.com 103 Geopolitik | THEORIE & PRAXIS

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