Institutional Money, Ausgabe 3 | 2024

dem Bankensystem steuern wird. Die Regierungen werden schlicht nicht wollen, dass die Zentralbanken das machen. Der Staat wird also insgesamt härter vorgehen? Russell Napier: Ja. „Friend-Shoring“entspricht ja bereits dieser Weltanschauung. Aber es geht darüber hinaus. Es gibt also einen Deglobalisierungs- oder China-Notstand. Aber es gibt auch einen Klimanotstand. Es gibt in Europa offensichtlich einen Verteidigungsnotstand, aber ich denke, dass es diesen auch im Pazifik gibt. Manche würden aufgrund des Auf- stiegs des Populismus argumentieren, dass es auch einen Ungleichheitsnotstand gibt. Aber wie spielt sich das Szenario der ökonomischen Repression aus Ihrer Sicht ab? Russell Napier: Wenn die Regierungen einen Plan gefasst haben, wie sie diese Notstände beseitigen wollen, und ihre Schuldenquote insgesamt auf sehr, sehr hohemNiveau liegt, ist das der Moment, in dem die Regierungen auf den pri- vaten Sektor schielen und beginnen, das Kapital und die Ersparnisse des privaten Sektors zu mobilisieren. Ich denke, das Wort „Notstand“ ist wirklich wichtig. Wir reden hier nicht nur davon, dass Regierungen sagen, sie denken, man sollte dies oder jenes unternehmen. Nein, sie werden de facto einen Notstand ausrufen. Und sobald der Begriff Notstand gefallen ist, rechtfertigt das auch eine Notstands- finanzierung. Staatliche Notstände sind staatsrechtlich und politisch in einer Demokratie sehr eng gefasst … Russell Napier: Notstandsfinanzierung – also wenn etwa Bür- ger gezwungen werden, Staatsanleihen zu kaufen – passieren immer in Kriegszeiten. So wie jetzt. Das hört man nicht gern, aber wir befinden uns derzeit in einem Krieg. Wir befinden uns möglicherweise in mehr als einem Krieg.Wir befinden uns möglicherweise in drei Kriegen, resultierend aus den drei Notstandsszenarien. Die Politik versteht das zumindest so, und das ist die Motivation für die Regierun- gen, wieder in diese Notstandsökonomie einzusteigen. Zum Abschluss: Dieses Szenario der finanziellen Repression – was bedeutet das für die Eurozone, den Euro? Russell Napier: Den Machtfluss von einer Notenbank zu einer Regierung zu kanalisieren, ist in Amerika einfach. Ebenso in Großbritannien. Aber wie soll das in der Euro- zone gelingen, wo der EZB 19 Einzelstaaten gegenüberste- hen? Man hätte 19 Regierungen, die entscheiden, wie viel Bankkreditwachstum und Geldmengenwachstum sie wol- len. 19 Regierungen, die ihre eigene Industriepolitik bestim- men. 19 Regierungen, die ihre eigene Zinskurve bestimmen, indem sie die Ersparnisse der eigenen Bevölkerung manipu- lieren. Das kann nicht funktionieren. Und was würde passieren, wenn Macron tatsächlich ausschert und allein den Weg der finanziellen Repression geht? Russell Napier: Das private Kapital würde dramatisch darauf reagieren. Es gäbe eine Flut von Euros Richtung Deutsch- land, nicht nur in der Art, wie wir es durch die Target-2-Sal- den gesehen haben. Tatsächlich würden Einzelpersonen ihre Euros nach Deutschland und anderswohin bringen. Letzt- endlich würden wir bei einem Griechenland-Szenario lan- den. Es käme zu einem Zusammenbruch des Systems, weil man irgendeine Form von Kontrolle über die Kapitalflüsse einführen müsste. Und das ist eine der vier Freiheiten. Man könnte Frankreich also nicht alle vier Freiheiten lassen, wenn Macron allein vorginge. Wir danken für das Gespräch! HANS WEITMAYR 50 N o . 3/2024 | institutional-money.com THEORIE & PRAXIS | Russell Napier | ERIC; Library of Mistakes FOTO: © BRENDAN MACNEILL » Nun, wir befinden uns in einem Krieg. Wir befinden uns möglicherweise in mehr als einem Krieg. Wir befinden uns möglicherweise in drei Kriegen. « Russell Napier, Finanzhistoriker und u. a. Gründer der „Library of Mistakes“

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